Gegen Raffzahn & Co: Zeigen Sie Ihrem Zahnarzt die Zähne!

11.000 Euro für eine Zahnbehandlung, die überhaupt nicht erforderlich ist? Ein Saarbrücker wäre fast auf den Kostenvoranschlag einer Praxis hereingefallen. Ein Zufall hat ihm die Kosten erspart. Über schwarze Schafe in der Zahn-Branche.

Fünf Jahre sei er nicht mehr beim Zahnarzt gewesen, mit ungutem Gefühl sei er schon in die Praxis geschlichen, von seiner Frau gedrängt, zum ausgezeichneten Zahnarzt, vom Freund empfohlen, erzählt Herr M. aus Saarbrücken, die Prophylaxe lange überfällig. Und die Praxis sei auch super gewesen, gedämpfte Geschäftigkeit, Empfang, Wartezimmer, Helferinnen und Ärzte hauseinheitlich in freundlich-frischen Farben, Corporate Identity, offensichtlich ein motiviertes Team mit ansehnlichen Menschen geht da zu Werke, bei leichter Hintergrundmusik, einem Sound zum Runterkommen, da lasse man sich doch gerne auf den Zahn fühlen, schildert Herr M. seine Eindrücke.

Zahnarzt: Herr M. geht auf dem Zahnfleisch
Nach kurzer Wartezeit dann, „Bitte nehmen Sie Platz“, die Bestandsaufnahme zur Vorsorge. Zahn um Zahn wird geklopft, das Zahnfleisch untersucht, die Zahnärztin diktiert monoton ihren Befund – und das hörte sich schon nicht gut an: Da sei eine Menge zu machen, für einige Zähne höchster Handlungsbedarf. Die Panoramaaufnahme bestätige dies. Vor allem anderen müsse erst mal eine Parodontose-Behandlung gemacht werden, fast alle Zähne seien gefährdet, einige Zahnfleischtaschen bereits elf Millimeter tief. Für das vorgesehene Behandlungsprogramm bekam unser Patient eine Woche später den Heil- und Kostenplan, eher einen Kostenanschlag auf sein Bankkonto: Mehr als 9.033 Euro Eigenanteil, bei Gesamtkosten von 10.946 Euro u.a. für acht Vollkronen und neun Brückenglieder, Spangen und Stege im Heil- und Kostenplan, fast eine Vollsanierung der Kauwerkzeuge, ohne zahnästhetische Extras. Und dies, ohne in den letzten Jahren Zahnschmerzen gehabt zu haben, versichert Herr M.

Zahntasche oder Zahnarzttasche
Aber der Reihe nach: Zunächst wollte er die Parodontose-Behandlung hinter sich bringen, ist ja schmerzhaft genug. Doch da fährt die Krankenkasse dazwischen: Der Behandlungsplan der Praxis solle von einem Gutachter überprüft werden. Und der Zahnarzt aus St. Ingbert sei ein echter Gut-Achter gewesen: Die meisten Zahntaschenvertiefungen sind gar nicht vorhanden, andere erheblich kleiner als diagnostiziert. Die Frage an den Gutachter, wie sowas vorkommen kann. Er klärt unseren Patienten auf, es gebe Zahnärzte, die interpretierten nach eigenen Maßstäben. Ansichtssache halt. Zahntasche oder Zahnarzttasche.

Zweit- und Drittmeinung einholen
„Eigene Maßstäbe“, das war das Stichwort, das den Nerv unseres Zahnpatienten Herrn M. getroffen hatte. Beim Gutachter-Zahnarzt, der seine raffgierigen Kollegen aus Saarbrücken so schonungslos vorgeführt hatte, vereinbarte er einen Termin zur Vorsorge-Untersuchung eine Woche später. Der akribische Zahnarzt inspiziert und diagnostiziert und kommt zum Ergebnis „Glückwunsch zu Ihren Zähnen. Die sind alle in Ordnung, ich sehe da keinen Handlungsbedarf, allenfalls unten rechts haben Sie eine Lücke, die könnte man mit einer Brücke schließen, müssen Sie aber nicht. Kostet 300 Euro.“

Dieselben Zähne und 10.700 Euro Kostendifferenz
Das darf doch nicht wahr sein. Dasselbe Gebiss und zwei Diagnosen, die unterschiedlicher nicht sein können. Dreihundert oder elftausend Euro inklusive geschätztem Kassenzuschuss. Herr M. ist immer noch wütend, wenn er das erzählt. Aber Herr M. bohrte nach: Dritt-Meinung einholen. Auch hier totale Entwarnung einer Saarbrücker Zahnärztin, auch mit einer schicken Praxis: „Alles in Ordnung, nur unten rechts könnten wir eine Brücke machen, kostet 300 Euro.“ Die habe er sich dann machen lassen. Herr M. brauchte jetzt nicht mehr die Zähne zusammenzubeißen, ein Zufalls-Besuch bei einem Gutachter hatte ihm 10.700 Euro erspart.

AOK: Wir gehen solchen Fällen nach
Jan Rößler von der AOK Rheinland-Pfalz/Saar zu Saarlandinside: „Wir sehen solche Fälle kritisch und gehen gemeinsam mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) derartigen Fällen nach.“ Er weist auf die rechtliche Situation hin. Die Versicherten schließen mit den Zahnärzten ihres Vertrauens privatrechtliche Vereinbarungen, die durch die Krankenkassen nach den Regelungen des Sozialgesetzbuches bezuschusst werden. Der Inhalt dieser Vereinbarungen sei grundsätzlich zwischen dem Zahnarzt und dem Patienten zu vereinbaren.

Barmer: 50 % der Gutachten beanstandet
Die Barmer-GEK fischt pro Jahr aus 800.000 Heil- und Kostenplänen etwa 6.000 zur gutachterlichen Überprüfung raus. Ergebnis: Die Hälfte der Kostenpläne wird abgeändert oder abgelehnt, sagt Barmer Pressesprecher Axel Wunsch. Insgesamt übernehmen die Primär- und Ersatzkassen nach Auskunft der Bundesärztekammer allein 22 Millionen Zahnersatz- und 25 Millionen Parodontalleistungen. Etwa 99 Prozent der Heil- und Kostenpläne gehen ohne Gutachter zurück an die Praxen. Bei Durchschnittskosten von 1.561 Euro für Zahnersatz pro Patient und 400 Euro für Parodontalbehandlungen stecken im System Milliarden an Einsparpotenzial für Kassen und Patienten.


         Thüringer bei der Zahn-Vorsorge vorne, Saarländer ziemlich hinten

Zahnemann und Söhne
Vorsicht ist auch angeraten, wenn ein Zahnarzt fast ein Jahr nach einer Kassen-Behandlung eine Rechnung für angeblich privatärztlich erbrachte Leistung schickt. Frau L. aus Saarbrücken bekam eine solche über 800 Euro. Sie fragte ihren Zahnarzt, womit er dies begründe, sie habe schließlich keine Privatbehandlung vereinbart. Der Zahnarzt weiter, fast schon nötigend: Er habe auch nicht alle Leistungen in Rechnung gestellt, ein großzügiges Entgegenkommen von ihm, aber wenn Frau L. die Zahlung verweigere, werde er auch diese zusätzlich und nachträglich berechnen. Er habe erst neulich in einem ähnlichen Fall einen Prozess gewonnen. Frau L. weigerte sich, sie habe keinen Vertrag über privatärztliche Leistungen abgeschlossen. Der Zahnarzt zog daraufhin über die zahnärztliche Verrechnungsstelle die Forderung zurück.

Foto: BARMER

Vertrauen und freier Wettbewerb
Einen weiteren Fall unter der Rubrik „freier Wettbewerb der Zahnärzte“ in Gersheim. Hier hatte bei Frau K. der behandelnde Zahnarzt ihres Vertrauens beim Kostenplan einen Zahn zugelegt. Neue Kronen sollten 4.800 Euro kosten. Sein Konkurrent hat‘s dann für die Hälfte gemacht, genauso gut. Zweitmeinung und Angebote von der Konkurrenz einholen, raten die Krankenkassen. Das kann auch im Normalfall schon mal ein paar Tausender sparen.

Immer mehrere Kostenvoranschläge einholen
Die Kassen bieten weiteren Service: Die DAK (1,5 Millionen Zahnersatz-Anträge) bietet ihren Kunden mit einem internetbasierten Suchprogramm Zugriff auf mehr als 350 deutsche Zahnlabore mit strengsten Qualitätskriterien. „Damit lassen sich die günstigsten Anbieter für den individuellen Zahnersatz herausfiltern,“ sagt Pressesprecher Claus Uebel, „ohne Qualitätseinbußen.“

Bildung, Einkommen und Anspruch bestimmen die Qualität
Die Barmer-GEK hat in ihrem Zahnreport 2016 repräsentativ für Deutschland regionale Unterschiede in der zahnärztlichen Versorgung untersucht. Dabei zeigt bereits die Verteilung der Gesamtausgaben auf Kernbereiche der Zahnmedizin deutliche Unterschiede. So legen Bayern deutlich andere Maßstäbe an ihren Zahnersatz an als die Saarländer. Ursachen sind unterschiedliche Anspruchshaltungen, Faktoren wie Alter, Einkommen, Geschlecht und Bildung. Aber auch unterschiedliche Therapiestrategien der Zahnärzte.

Das typische saarländische Gebiss
Aus dem Barmer-GEK-Report ergibt sich für das saarländische Normalgebiss im Bundesländer-Vergleich (ohne Schleswig-Holstein) folgender Status. Es
•    geht am seltensten zum Zahnarzt: 65 % der Versicherten (Bund 71, Sachsen 78),
•    hat am wenigsten Parodontose: 0,8% (Bund 1,5, Nordrhein-Westfalen 1,7%),
•    braucht am seltensten Zahnersatz: 9,6% (Bund 10,7, Brandenburg 11,9),
•    liegt bei den Kosten im Mittelfeld: 1.616 € (Bund 1.581, Bayern 1.720).

Quellen:
BARMER GEK: Zahnreport 2016
Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung KZBV: Jahrbuch 2016
Statistische Basiszahlen zur vertragszahnärztlichen Versorgung
DAK, AOK