Wenn was nicht passt, wird das Gesetz geändert

Fischzucht-Fiasko Teil Zwei: Mit einer Gesetzesänderung des Landtags hat sich die Landesregierung in der Affäre juristisch absichern wollen. Der Trick ziehe nicht, sagen Kommunalrechtsexperten. Die Änderung sei „systemwidrig“ und funktioniere auch nicht rückwirkend.

Kramp-Karrenbauer lässt die Dinge mit Berechnung schleifen
Der wiederholte Hinweis der Kommunalaufsicht auf Rechtswidrigkeit der kommunalen Stör-Zucht ist für Kramp-Karrenbauer lästiges Stör-Manöver. Sie wischt die Argumente beiseite und tut – nichts. Und OB Lorig legt mit dem Bau los. Schließlich hat die Innenministerin ja keine Bedenken. Die Ausschussmehrheit von CDU und SPD schreibt 2017 im Abschlussbericht des Landtags: „Kramp-Karrenbauer konnte nicht davon ausgehen, dass die Stadt ein besonderes Tempo vorlege, wenn die rechtlichen Grundlagen noch zu schaffen seien.“ Dass Lorig schon seit 2006 Tempo macht, hätte sie der Saarbrücker Zeitung und ihren Berichten über den Projektfortschritt entnehmen können.

Der Winkelzug: „Lex Fischzucht“
Inzwischen häufen sich in Völklingen die Ungereimtheiten und die Hinweise auf große Mängel, Risiken zeichnen sich ab. Kramp-Karrenbauer ahnt, die Fischzucht könnte ihr politisch Probleme bereiten. Mit einer Anpassung im Kommunalen Selbstverwaltungsgesetz (KSVG) will sie sich wenigstens formaljuristisch über Wasser halten. Sie lässt eine Gesetzesänderung austüfteln, dergestalt, dass, wenn die Kommunalrechtler eine geplante wirtschaftliche Betätigung einer Gemeinde als rechtswidrig beurteilen, ihre Chefs und Innenminister „Befreiung erteilen“ können, „aus Gründen überwiegenden öffentlichen Interesses“ (§ 118 KSVG). „Ein „unbestimmter Rechtsbegriff, mit dem ein Minister fast alles begründen kann,“ so ein Kommunalrechtsexperte.

Voraussetzung für Ministerentscheid ist Rechtswidrigkeit
Die Ministerbefreiung funktioniert vereinfacht ausgedrückt so: Die Juristen bewerten ein Kommunalvorhaben als rechtswidrig, sie machen dazu ein Gutachten. Die Minister können sich aus politischen Gründen darüber hinwegsetzen. Voraussetzung für die Ministerbefreiung ist also die Rechtswidrigkeit des Vorhabens. Eine juristische Skurrilität. In den Akten des Innenministeriums findet sich zu dem Thema eine handschriftliche Notiz über ein Gespräch von Innen-Staatssekretär Müllenbach mit Wirtschaftsminister Georgi auf dem Landespressefest 2007: „Wo kein Kläger, da kein Richter“ und „Ergänzung § 108 KSVG (…) eher nein.“

Gesetzesänderung systemwidrig
Jürgen Wohlfarth, Kommentator des KSVG, sieht überdies einen schweren juristischen Mangel im neuen KSVG. Die von Kramp-Karrenbauer forcierte „Befreiungsmöglichkeit ist ein Fremdkörper“, weil sie unzulässiger Weise einen zentralen Inhalt des KSVG aushebele: Die Gemeinden dürfen nun mal außerhalb öffentlicher Aufgaben nicht Unternehmer spielen, Privaten keine Konkurrenz machen, das wirtschaftliche Engagement muss verhältnismäßig sein und darf die Leistungsfähigkeit einer Gemeinde nicht gefährden. Und: Kramp-Karrenbauer hat das Projekt zunächst laufen lassen und dann kam die juristische Ermöglichung des Einzelfalls. „So in sich widersprüchlich darf sich kein Gesetzgeber verhalten“, sagt Wohlfahrt.  Im Dezember 2008 tritt die Kramp-Karrenbauersche Sonderregelung für die Fischzucht in Kraft.

KSVG-Änderung für CDU und SPD zentrales Verteidigungsargument
Die KSVG-Änderung ist unter Juristen also umstritten. Für CDU und SPD ist sie dennoch zentrales Argument, wenn es darum geht, die Ministerpräsidentin im Untersuchungsausschuss aus dem Feuer zu holen. Sie sei nicht eingeschritten, weil ja ohnehin eine Gesetzesänderung geplant gewesen sei, sagen CDU und SPD.  Damit entlarven sie den Winkelzug der Ministerin als Zirkelschluss: Das Völklinger Fischzuchtvorhaben ist rechtswidrig (2007), also müssen wir das Gesetz ändern (2008), sodass wir 2017 sagen können: Wir haben ja ohnehin das Gesetz ändern wollen. Die „Lex Fischzucht“ kann das rechtswidrige Nichteinschreiten der Innenminister sowieso nicht heilen, sie ist nicht rückwirkend gültig. Sie tritt erst im Dezember 2008 in Kraft, als OB Lorig und Stadtwerke schon längst mit den Arbeiten losgelegt und Kramp-Karrenbauer und ihr Nachfolger Meiser beschlossen haben, das Projekt laufen zu lassen.

Wer kommt für den Schaden auf?
Wie dem auch sei: Die umstrittene Gesetzesänderung ist das eine, die betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Mängel rund um die Fischzucht das andere. Wie könnte auch eine Gesetzesänderung aus einem Kommunalbetrieb mit mangelhafter betriebswirtschaftlicher Kompetenz einen Spitzen-Performer auf dem freien Markt machen? Auch da wird deutlich: die KSVG-Änderung war offenbar als Ablenkungsmanöver angedacht.

Fazit: Es ist unfassbar, mit welcher Leichtfertigkeit Politiker 20 Millionen Euro in den Sand setzen, offensichtlich für ein Wahlkampfprojekt einer Partei und eines Bürgermeisters. Übrigens: Lorig wurde 2009 im ersten Wahlgang als OB wiedergewählt; seine Völklinger Wähler ahnten noch nichts von dem drohenden Fiasko.

Stellt sich die Frage, ob und wer für den Schaden haftbar gemacht werden und wer Schadenersatz fordern kann. Direkt Geschädigte sind u.a. ehemalige Stadtwerke-Mitarbeiter, die aufgrund der rechtswidrigen Handlungen der Politik mit der Folge der Fischzuchtpleite und der drohenden Insolvenz ihren Job verloren haben.

Quellen:
Jürgen Wohlfahrt, Kommunalrecht für das Saarland (Klaus-Ludwig Haus Hrsg.), 3. Aufl. 2003;
Landtag des Saarlandes, Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses „Meeresfischzucht Völklingen“, Drucksache 15/2107, 7.3.2017;
Lehné/Weirich, Kommentar zum Saarländischen Selbstverwaltungsgesetz, 17.11.2008;
Gröpl/Guckelberger/Wohlfarth, Landesrecht Saarland, 2. Aufl. 2013;
Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Az.: 1 R 51/91 21.10.1991