Die 500 Millionen Euro Bundeshilfe sind jetzt schon aufgezehrt

Dem Wahlkampf-Luftballon „500 Millionen Euro Bundeshilfe mehr“ geht die Luft aus: Die bisherige Bundes-Stütze von 260 Millionen Euro fällt flach und der Rest versickert in Personalkosten, Schuldentilgung und neuen Haushaltslöchern.

Partystimmung kam auf: Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte das Land gerettet. Eine halbe Milliarde jährlich mehr hätte sie in den Verhandlungen zum Bund-Länder-Finanzausgleich im Oktober letzten Jahres für unser Land herausgeholt. AKK hätte sich keinen grandioseren Wahlkampf-Auftakt wünschen können. Die SZ titelte: „Was die 500 Millionen mehr für das Land bedeuten“ und: „Wohin mit den zusätzlichen Millionen?“ Der SR erwies der Ministerpräsidentin seine Reverenz ob des Halbe-Milliarden-Segens und meinte, die Ministerpräsidentin könne sich jetzt ein Gläschen gönnen.

260 Millionen weniger wegen Wegfall der Konsolidierungshilfe
Was in der allgemeinen Glückstrunkenheit – und die Landtagswahl dräute am Horizont – niemand sagen wollte: Von den genaugenommen 489 Millionen Euro des Bundes ab 2020 (400 Mio. davon Saarland-Nothilfe, 89 Mio. im Länderfinanzausgleich, die das Saarland ohnehin bekommen hätte) muss die bis 2019 laufende Bundes-Stütze von 260 Millionen Euro jährlich abgezogen werden. Die 500-Millionen-Rettung eine (Selbst-)Täuschung?

Verbale Tricks zur Verschleierung
Zwar spricht Kramp-Karrenbauer – sie hat aus dem Jonglieren mit Millionen bei den Bauskandalen gelernt – von „ca. 500 Millionen nach dem Recht von 2020“ (will sagen: eigentlich müssen wir die bis 2019 laufende 260 Mio. Euro Konsolidierungshilfe des Bundes abziehen). Aber wer wollte diese verbale Finte nicht übersehen und damit die saarländische Millionen-Harmonie stören? Anke Rehlinger war in der GroKo gefangen. Als einziger sah Oskar Lafontaine voraus, dass am Ende von dem Millionensegen nicht viel für die entscheidenden Leitinvestitionen im Kernhaushalt des Landes übrig bleiben wird.

Kosten die unaufhaltsam steigen
Tatsächlich werden der Landeskasse also nur 229 Millionen Euro mehr aus Finanzausgleich und Sonderhilfe zufließen. Und die sind laut der Finanzplanung der Regierung bis 2020 von planmäßigen, ziemlich genau berechenbaren Kostensteigerungen heute schon aufgezehrt, unter anderem durch

  • Steigende Personalkosten: Die Koalition will den Stellenabbau um zwei Jahre strecken. Im Jahr 2020 werden deshalb 300 Stellen mehr als geplant zu finanzieren sein. Neue Mitarbeiter, darunter etliche parteiennahe, Beförderungen und Lohnerhöhungen verursachen insgesamt ein Ausgaben-Plus von 40 Millionen Euro mehr im Jahre 2020 gegenüber 2016.
  • Steigende Beamtenpensionen und Beihilfen: In 2020 sind dafür 573 Millionen vorgesehen, fast jeder siebte Euro des Landeshaushalts geht für die Ruheständler drauf. Der Mehrbedarf 2020 beträgt rund 53 Millionen Euro. Tendenz steigend bis 2025. Dabei ist bereits berücksichtigt, dass die Landesregierung 153 Millionen Euro aus der Beamtenversorgungsrücklage für die laufenden Ausgaben entnimmt.
  • Die Zahlungen an die Kommunen sollen in vier Jahren 61 Millionen höher sein als heute.
  • Für Baumaßnahmen, insbesondere die Sanierung von Landesstraßen, will die Landesregierung 15 Millionen mehr ausgeben.
  • Schuldentilgung: Ab 2020 muss die Landesregierung den dann auf etwa 15 Milliarden Euro aufgehäuften Schuldenberg abtragen, im Schnitt mit 80 Millionen Euro pro Jahr (Theoretisch schuldenfrei wäre das Saarland dann im Jahre 2195).

Kräftiges Wachstum, sprudelnde Steuerquellen?
Finanzieren will die Landesregierung diese laufenden Ausgaben aus kräftig sprudelnden Steuerquellen. Sie rechnet mit Steigerungsraten von 4,5 Prozent jährlich, erzeugt von einem anhaltend kräftigen Wirtschaftswachstum wie im Jahre 2015 mit 2,4 Prozent. Die Konjunktur laufe gut. Die „Haushaltsüberschüsse der Ländergemeinschaft“ bewiesen dies.

Saarland als einziges Bundesland ohne Überschuss in 2016
Tatsächlich: In allen Bundesländern sprudeln die Staatseinnahmen, nur nicht im Saarland. Ende Januar dieses Jahres legte der Bundesfinanzminister die 2016er Bilanzen der Länderhaushalte vor. Darin erreichten alle Bundesländer, sogar die Armenhäuser der Nation, beachtliche Überschüsse: Berlin 1,3 Milliarden, Bremen 13 Millionen und Schleswig-Holstein 385 Millionen, Sachsen-Anhalt 564 Millionen. Allein das Saarland steht mit einem Haushaltsloch von 125 Millionen Euro da.

Landesstatistiker korrigieren Regierungszahlen
Dass die Wachstumsprognosen und die auf ihrer Grundlage geschätzten Steuereinnahmen korrigiert werden müssen, belegt auch das Statistische Landesamt. Es hat inzwischen das Wirtschaftswachstum für 2015 auf 1,7 Prozent korrigiert und für 2016 sogar ein Null-Wachstum angegeben. Zur Verdeutlichung: 1,7 Prozent entsprechen einem Bruttoinlandsprodukt von 600 Millionen Euro. Die Schätzungen waren für die letzten beiden Jahre also zu optimistisch, wie der Einnahmerückgang im Saarland belegt. Schöngerechnet für den Wahlkampf.

Großbritannien größter Exportpartner: Risiken durch Brexit
Das Kalkül der GroKo: Die traditionellen Stärken der Saarwirtschaft, Autobranche, Maschinenbau und Stahl, vor allem der Export würden die Steuermillionen schon bringen. Doch auch da drohen große Unwägbarkeiten. Ein Grund ist der Brexit: Saarunternehmen verkauften 2016 für 2,3 Milliarden Euro Waren nach Großbritannien, dem größten ausländischen Abnehmer der Saarwirtschaft. Ford produziert jeden dritten Focus für die Insel.

„In der Automobilindustrie wird sich in den nächsten zehn Jahren mehr verändern als in den letzten 100 Jahren.“ (BMW-Niederlassungsleiter Volker Arnold)

Wachsende Unsicherheit in der Autobranche
Überhaupt steht die Autobranche im Saarland vor einem gewaltigen Umbruch. Die Autobauer und -zulieferer, die mit 70.000 Beschäftigten 14 Milliarden Euro fast die Hälfte des saarländischen Bruttoinlandproduktes erwirtschaften, schlagen Alarm. Für die Zukunftsthemen Autonomes Fahren und Elektromobilität sei der Industriestandort Saarland nicht gerüstet, stellte auf dem Zukunftsgespräch des Netzwerks Autoregion Saar dieser Tage in Saarbrücken ihr Geschäftsführer Armin Gehl fest. Und der Verkehrsclub Deutschland (VCD) forderte jetzt einen Kurswechsel in der saarländischen Verkehrspolitik, „um den Anschluss an neue Trends bei der Mobilität nicht zu verlieren“.

Stahlbranche immer stärker unter Druck
Auch die Stahlbranche, ein weiterer großer Arbeitgeber, ist in der Krise. Saarstahl, dessen größte Kunden Autoproduzenten im In- und Ausland sowie Maschinenbau-Unternehmen sind, machte 2016 einen Verlust von 155 Millionen Euro und baut Arbeitsplätze ab. Der Abschottung des amerikanischen Marktes, die zunehmende Konkurrenz durch Billigimporte aus China auf dem Weltmarkt und Mehrbelastungen von 135 Millionen Euro für den Klimaschutz bringen die Stahlindustrie im Land in Bedrängnis.

Die Saarwirtschaft wird also nicht im erhofften Ausmaß zu steigenden Steuereinnahmen beitragen können. Und auch Zinserhöhungen können sich in absehbarer Zeit wieder stärker im Landeshaushalt niederschlagen. Klugerweise haben CDU und SPD in den aktuellen Koalitionsverhandlungen eine Prioritätenliste der Vorhaben erstellt, die je nach verfügbaren Mitteln realisiert werden können. Da bleibt kaum Raum für echte Leitinvestitionen im Land. Ein Aufbruchssignal für das Saarland hört sich anders an.

Quellen:
Staatskanzlei: Die Regierungsbilanz der Großen Koalition, 23.1.2017
Ministerium für Finanzen und Europa: Mittelfristige Finanzplanung des Saarlandes, 30.8.2016
Bund der Steuerzahler: Wirtschaftsmagazin Ausgabe März 2017
Bundesministerium der Finanzen: Die Einnahmen, Ausgaben und Kassenlage der Länder, 30.01.2017 

Statistisches Landesamt: Saarland heute – Statistische Kurzinformationen, 2017
Saarbrücker Zeitung (Udo Lorenz): Noch ist die Auto-Industrie stark im Land, 28.4.2017
Landtag des Saarlandes: Drucksache 15/1976, Regierungserklärung, 26.10.2016