Ein Spitzenkandidat gibt den Bürgermeister-Rambo

Eine kleine Sittengeschichte der Kommunalpolitik (III). Über den von Kramp-Karrenbauer gepuschten Spitzenkandidaten der CDU in St.Ingbert, einen Diplom-Theologen, der für den Stadtrat offensichtlich nicht wählbar ist, über melderechtliche Tricksereien und die Hauptwohnung einer vierköpfigen Familie in zwei Kinderzimmern.

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Als die St. Ingberter CDU ihre Kommunalwahlkampagne im April 2014 mit Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und weiterer Parteiprominenz startet und ihren Spitzenkandidaten, den Diplom-Theologen Pascal Rambaud, auf den Schild hebt, ahnen Beteiligte, die Nominierung könne rechtswidrig sein. Was damals nur Wenige sehen: Rambaud ist offensichtlich nicht für den Stadtrat wählbar, weil er seine Hauptwohnung nicht in St.Ingbert sondern im 83 Kilometer entfernten Perl hat. Dort bewohnt er seit 2009 ein Haus mit seiner Familie. Die Kinder kommen in Luxemburg zur Welt. Er selbst arbeitet in Luxemburg als Aushilfs-Religionslehrer am Lycée in Diekirch, seine Frau Sylvie am Lycée des Garçons in Esch.

Gesetz will Manipulationen verhindern
Der Sachverhalt ist eigentlich klar: Wer in mehreren Gemeinden wohnt, ist nur dort wahlberechtigt, wo er seine Hauptwohnung hat, sagt das Kommunalwahlgesetz (§13 KWG). Damit sollen Manipulationen verhindert werden. Was eine Hauptwohnung ist, hat das Bundesverwaltungsgericht definiert: „Die Hauptwohnung eines verheirateten Einwohners, der nicht dauernd getrennt von seiner Familie lebt, ist die – nach rein quantitativer Betrachtung – vorwiegend benutzte Wohnung der Familie.“ So argumentieren auch zahlreiche Entscheidungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit und Verfassungsgerichtshöfe in anderen Bundesländern bei der Beurteilung des passiven Wahlrechts für ein Kommunalparlament. Die Hauptwohnung eines Wahlbewerbers müsse sich an objektiven Kriterien feststellen lassen. Ob ein Bewerber durch Mitgliedschaft in  Vereinen Verbundenheit mit seiner “Wahl”-Heimat habe, diese Beurteilung müsse man dem Wähler überlassen. Ein passives Wahlrecht begründe sie nicht.

Auch CDU-intern Zweifel an der Wählbarkeit
Partei-Zentralen sollen ihre Karrieristen nicht nach Bedarf in strategisch wichtigen Gemeinden positionieren können. Das Kommunalwahlgesetz will, dass Bewerber im Lebensalltag einen deutlichen Bezug zu ihrer Wohn- und Heimatstadt haben. Die Familie Rambaud, die in Perl im eigenen Haus lebt und arbeitet, kann jedenfalls nicht „zwei ehemalige Kinderzimmer des Vaters“ in St. Ingbert als Hauptwohnung geltend machen, so der Gemeindewahlleiter, OB Hans Wagner. Die Verfassungsrichter in Bayern halten es bei Zweifel an den Angaben des Bewerbers und bei Ermittlungen wegen des Verdachts der Falschbeurkundung im Zusammenhang mit der Wählbarkeit sogar für zulässig, den Strom- und Wasserverbrauch zu messen. Im Vorfeld der Kommunalwahl 2014 sollen selbst Mitglieder des CDU-Stadtverbandes St. Ingbert Zweifel an der Wählbarkeit ihres Spitzenkandidaten geäußert haben. Fest steht: Für den Gemeinderat in Perl ist Rambaud 2014 wählbar gewesen.

Fehlerhafte Entscheidung der Kreisverwaltung
Die fragwürdige Nominierung Rambauds mit dem Segen der CDU-Landesspitze fliegt 2014 nach der Wahl durch eine anonyme Anzeige beim Gemeindewahlleiter auf. Der legt die Angelegenheit dem Kreisrechtsausschuss beim Saarpfalzkreis vor. Die Juristen dort spielen eine recht unglückliche Rolle: Sie entscheiden offenbar in Unkenntnis des höchstrichterlichen Urteils über eine Hauptwohnung inhaltlich falsch, die Mitgliedschaft Rambauds in Vereinen genüge. Zudem formulieren die Homburger Juristen eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung, verweisen den Gemeindewahlleiter fälschlicherweise an das Verwaltungsgericht.

Das Anwesen des St. Ingberter Bürgermeisters Pascal Rambaud in der Josef-Langel-Straße 18 in Oberperl. Hier wohnt Rambaud mit seiner Frau und zwei Kindern.

Formale Begründung rettet Rambaud
Ende letzten Jahres landet die Streitsache dann vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in Saarlouis. Die Richter weisen die Klage ab, aus formalen Gründen: Als Oberbürgermeister habe er keine Befugnis, die ordnungsgemäße Wahl überprüfen zu lassen. Dazu bedürfe es eines Stadtratsbeschlusses, so die Verwaltungsrichter. Diese rein formaljuristische OVG-Entscheidung soll Rambaud vorerst vor dem Rauswurf aus dem Stadtrat retten. Den Sachverhalt, dass er seine Hauptwohnung in Perl hat, interessiert die Richter nicht mehr.

„Bürgermeister“-Posing auf Facebook
Demokratische Grundregeln hin – politische Hygiene her. Theologe Rambaud lässt sich nach seiner Wahl in den Stadtrat 2014 von seiner Mehrheit zum ersten Beigeordneten ohne Geschäftsbereich installieren.  Er darf sich fortan Bürgermeister nennen. Seitdem sucht er Kontakt zu den Einheimischen und den Medien, zeigt sich auf Veranstaltungen, mimt durch gezieltes „Bürgermeister“-Posing auf Facebook Präsenz. Er wirkt weiter an Stadtratsbeschlüssen mit, bestimmt über Aufträge und Ausgaben, beeinflusst wichtige städtische Pläne. Inzwischen hat die Fraktion ihren Spitzenmann Rambaud aus dem Vorsitz in die zweite Reihe zurückgestuft. Er soll zu wenig Engagement in die Fraktionsführung investiert haben. Verständlich, wenn er für jeden Tag, an dem er von Perl nach St. Ingbert fährt, allein zwei Stunden Fahrzeit opfern muss.

Mutwillig herbeigeführte Kosten?
Mit der formalen OVG-Entscheidung wollen es die CDU, die Grünen und und die Familienpartei aber nicht bewenden lassen. Sie haben im Rat schließlich die Mehrheit und wollen Wagner noch einen Nachschlag verpassen. Mit dem Segen der Kommunalaufsicht  wollen sie dem Gemeindewahlleiter Wagner die Prozesskosten von 4.600 Euro privat aufdrücken. Sie beauftragen einen Gutachter, der für ein Stundenhonorar von 250 Euro klären soll, ob Wagner privat belangt werden kann. Das Gutachten könnte teurer werden als die Prozesskosten. Der Verdacht des Mutwillens steht im Raum. Die St. Ingberter Grünen und die CDU geben auf Anfrage von Saarlandinside dazu keine Auskunft.

Neuer Anlauf des Gemeindewahlleiters
Die Streiterei lenkt davon ab, dass Rambaud immer noch seine Hauptwohnung in Perl hat und damit in St. Ingbert nicht das passive Wahlrecht besitzt. Vor dem Kreisrechtsausschuss habe Rambaud bereits vor dreieinhalb Jahren zugesichert, er wolle sein Haus in Perl verkaufen und in St. Ingbert ein neues bauen, sagt Wagner. Er plane deshalb jetzt einen weiteren juristischen Anlauf, den rechtswidrigen Zustand im Stadtrat beheben zu lassen.

Und die Moral von der Geschicht: Beim Streit um die Wählbarkeit eines Bewerbers für den Stadtrat geht es um nichts weniger als um die demokratische Legitimierung einer Volksvertretung, die für nichts weniger als alle städtischen Angelegenheiten zuständig ist. Ein Verstoß gegen Vorschriften zur Wählbarkeit stellt diese Legitimierung infrage. Er ist kein Kavaliersdelikt, insbesondere, wenn die Wohnsitz-Umstände den Beteiligten vorher bekannt sind.
Saarlandinside hat in drei Beiträgen “Eine kleine Sittengeschichte der Kommunalpolitik” über destruktive Vorkommnisse im St.Ingberter Stadtrat berichtet, darüber, was Kommunalpolitiker hinter den Kulissen so alles an persönlichen Abrechnungen und Abhängigkeiten, Gunst und Gefälligkeiten organisieren, teilweise mit dem Segen von Regierungsstellen. Manchen, so scheint’s, sind der persönliche Vorteil, das finanzielle Interesse und die Macht wichtiger als das Wohl der Allgemeinheit. Sicher,ein Bock stößt nie allein. Aber damit schaden die Akteure dem Ansehen all jener Orts-, Gemeinde- und Stadträten, die sich ehrenamtlich und ohne persönliche Interessen für ihre Heimatgemeinde einsetzen.
Die Akteure zählen darauf, dass vieles unter der Decke bleibt oder, wenn mal öffentlich diskutiert, schnell in Vergessenheit gerät. Die Medien, “Vierte Gewalt” und gesellschaftliches Korrektiv, sind in der Hektik der “Daily News” gefangen, arbeiten Terminkalender, Pressekonferenzen, Pressemitteilungen und Vereinsveranstaltungen ab. Entwicklungen wie in St. Ingbert über mehrere Jahre hinweg analysieren, Zusammenhänge offenlegen, Hintergründe ausleuchten – das ist das Angebot von Saarlandinside.

Quellen:
Oberverwaltungsgericht Saarland:  2 A 14/16 v. 28.11.2017
Bundesverwaltungsgericht: 6 C 12/01 v. 20.3.2002
Bayerischer Verfassungsgerichtshof:  Vf. 79-VI-09 v. 11.1. 2010; u.a.