Fischzucht: „Kramp-Karrenbauer hat rechtswidrig gehandelt“

Fischzucht-Fiasko Teil Eins: Hat Annegret Kramp-Karrenbauer als frühere Innenministerin bei der 20-Millionen-Pleite mit der Meeresfischzucht Völklingen grob fahrlässig gehandelt und ihre Amtspflichten verletzt? Ein Ergebnis des Untersuchungsausschusses im Landtag sagt jedenfalls: Ihr Verhalten war rechtswidrig.


Fischzucht-Politik im Saarland: Wen man nicht überzeugen kann, den muss man täuschen…

Innenministerin hatte die gesetzliche Pflicht einzugreifen
Wir erinnern uns: Obwohl die Kommunalaufsicht ihren Ministern mehrmals schriftlich die Rechtswidrigkeit des Völklinger Fischzucht-Vorhabens unter die Nase gehalten hat, gebieten die Minister dem Völklinger Stadtrat und der Verwaltung keinen Einhalt. Sie hätten Ermessensspielraum, wo sie eingreifen oder nicht, sagen die Minister. Falsch, sagt der KSVG-Kommentator Jürgen Wohlfarth. Er definiert in seinem „Kommunalrecht für das Saarland“, wann die Kommunalaufsicht und die vorgesetzten Minister keinen Ermessenspielraum haben: „Die Herstellung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ist Verfassungsauftrag und keine Ermessenssache (Art.20 Abs. 3 GG). Bei rechtswidrigen Zuständen außerhalb von Bagatellgrenzen ist die Kommunalaufsicht zu Eingriffen nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet. Das Handlungsermessen reduziert sich auf null.“ Bereits 1991 sagt das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes in einem Urteil: „Es ist der Zweck der Kommunalaufsicht, sicherzustellen, dass die Gemeinden im Einklang mit dem Gesetz verwaltet werden.“

Ohne ministerielle Hinnahme kein Desaster“
Wohlfarths Expertise findet sich im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses im Landtag.  Auch die Akten des Innenministeriums weisen in diese Richtung. In einem rückblickenden Vermerk von 2015 schreibt ein Beamter der Kommunalaufsicht: „Ohne die ministerielle Hinnahme der verbotenen wirtschaftlichen Betätigung wäre es zu dem heutigen Desaster nicht gekommen.“

Abschlussbericht: Dokument des politischen Versagens
Vorletzte Woche hat der Landtag seinen Abschlussbericht mit Vernehmungsprotokollen der betroffenen Innenminister und einer Reihe von Zeugen veröffentlicht. Er ist ein Dokument des politischen Versagens und der niedergehenden politischen Kultur im Lande. Der Landtag berichtet seitenweise über Tricksereien, Halbwahrheiten, diskrete Absprachen, hartnäckige Untätigkeit, vorsätzliches Wegschauen, gegenseitiges Schuldzuschieben – die Chronologie der Fischzucht schildert eine politische Knauberei sondergleichen. Die Machenschaften zwischen Stadtverwaltung und Innenministerium kosten den Steuerzahler am Ende mehr als 20 Millionen Euro, das entspricht 60 Prozent der Jahressteuereinnahmen Völklingens von 2015.

Einige Fakten aus dem Untersuchungsbericht

  • Oberbürgermeister Lorig gibt beim Spatenstich vor großer landespolitischer Prominenz die Gesamtkosten mit 13 Millionen Euro an. Es werden letztendlich 24 Millionen. 16 Millionen betragen allein die Schulden bei der SaarLB, vier Millionen davon aus einem Notkredit zur Abwendung der Insolvenz.
  • Lorig erklärt, die Stadtwerke leisteten nur die Anschubfinanzierung, um kurze Zeit später einzugestehen, dass sie sich mit 90 Prozent beteiligt. Privaten ist das wirtschaftliche Risiko zu groß.
  • Lorig legt dem Innenministerium eine laienhafte Wirtschaftlichkeitsberechnung auf einer DIN A4-Seite mit unverständlichen Zahlen vor.
  • Lorig gesteht in einer Besprechung im Innenministerium 2014, fünf Jahre nach dem Spatenstich, „dass eine Vertriebsstruktur auch nicht ansatzweise vorhanden ist.“ Ein Völklinger Schuheinzelhändler wird mit der Untersuchung einer Vertriebsstruktur beauftragt – nebenamtlich.
  • Lorig schafft Fakten, lässt die Fischzucht-Gesellschaft ins Handelsregister eintragen, ein Jahr, bevor die angeblich dafür erforderliche Gesetzes-Änderung kommt. Innenstaatssekretär Müllenbach bezeichnet dies als „unfreundlichen Akt“.
  • Die Stellungnahme der IHK, die ausdrücklich auf große finanzielle Risiken hinweist, wird geschönt: „Die Kammern haben keine Bedenken.“
  • Wichtige Verfahrensschritte werden nicht schriftlich fixiert, niemand will später haftbar gemacht werden. Und wenn Vermerke oder Rechts-Expertisen tatsächlich auftauchen, werden sie von den Ministern ignoriert.
  • Fristen verstreichen und warnende Hinweise werden nicht beachtet.
  • Als die Fische schlachtreif sind, stellt Lorig fest, dass überhaupt keine Absatzwege aufgebaut sind.
  • Die Landesregierung versucht, dem Untersuchungsausschuss eine Wirtschaftlichkeitsanalyse vorzuenthalten; erst nach mehrmaligem Drängen der Linken rückt sie diese raus, versteckt in einer Großsendung von 17 Ordnern aus dem Wirtschafts- und Umweltministerium.

OB Lorig braucht einen Wahl-Joker
Zurück ins Völklingen des Jahres 2007: Oberbürgermeister Klaus Lorig sieht sich in schwierigen Zeiten. Die niedergehende Hüttenstadt braucht dringend wirtschaftliche Impulse. Und die OB-Wahl steht vor der Tür, für Lorig mit ungewissen Chancen. Da muss ein die Wirtschaft und den Wählerwillen beflügelndes Rettungsprojekt her. Die Stadtwerke holen eine alte Idee aus der Schublade: Eine Meerwasserfischzucht als Revitalisierungsprojekt der „hässlichsten Stadt Deutschlands“ (1993, RTL, DIE ZEIT) sei das Mittel der Wahl. Aquakultur auf der alten Kokerei-Brache in Fürstenhausen –  die „weltweit erste Großanlage“ dieser Art (Saarbrücker Zeitung), das wäre ein Aufbruchssignal. Lorig, sich schon als Innovations-OB im Wahlkampf sehend, ist begeistert.

Kommunalaufsicht mehrmals: Vorhaben rechtswidrig!
Der Stadtrat auch. Einstimmig beschließt er das „Zukunftsprojekt“. OB Lorig zeigt es vorschriftsmäßig bei der Kommunalaufsicht an. Innenministerin Kramp-Karrenbauer hätte das Projekt wegen Rechtswidrigkeit aber innerhalb von vier Wochen stoppen müssen. Denn ihre Kommunalrechtler attestieren ihr mehrmals, dass es sich bei Meeresfischzucht nicht um eine originäre Aufgabe der Daseinsvorsorge wie Müllabfuhr handelt, wirtschaftlich hochriskant ist und zudem eine typische Aufgabe der Privatwirtschaft. Fazit der Juristen:  Doraden- und Stör-Zucht ist absolut keine kommunale Aufgabe. Das Vorhaben sei gesetzeswidrig, die Ministerin müsse zwingend das Projekt stoppen. Kramp-Karrenbauer hat aber rechtswidriger Weise nicht eingegriffen.

CDU und SPD verhöhnen die Kommunalaufsicht
Wie sagen CDU und SPD später im Abschlussbericht: „Bezüglich der Einschätzung wirtschaftlicher Risiken ist zu sagen, dass zu Beginn einer jeden Entscheidung unter Ungewissheit sowohl nicht quantifizierbare als auch unvorhersehbare Risiken bestehen, wie es in der Privatwirtschaft bei nahezu jeder Investitionsentscheidung der Fall ist“, eine glatte Verhöhnung der Beamten im Innenministerium. Dabei wollen die nur verhindern, dass sich OB Lorig und seine Stadtwerke mit laienhaftem Knowhow, wie sich herausstellen sollte, im Vorfeld der OB-Wahl in Völklingen in ein höchst riskantes Abenteuer auf Kosten des Steuerzahlers stürzen.  Wird fortgesetzt.