Das verdienen Abgeordnete im Bundestag nebenher

Die Affären um Lobbyjobs und Maskengeschäfte haben zuletzt hohe Wellen geschlagen. Neue Recherchen von abgeordnetenwatch.de und SPIEGEL zeigen jetzt, dass fast jedes dritte Mitglied im Bundestag etwas hinzuverdient. Mehr als 35 Millionen Euro haben Parlamentarier seit der Wahl an Nebeneinkünften gemeldet. Es könnte aber sehr viel mehr sein – denn die tatsächlichen Einkünfte sind nicht nachvollziehbar. 

 

Dem Deutschen Volke – Bundestagsabgeordnete gehen einträglichen Nebentätigkeiten nach. © Deutscher Bundestag/IK SoM

Mindestens 660.000 Euro soll der Bundestagsabgeordnete Georg Nüßlein, ehemals CSU, als Provision für die Vermittlung von Atemschutzmasken einer hessischen Textilfirma an mehrere Ministerien erhalten haben. Seit der Fall bekannt wurde, ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft München wegen des Verdachts der Bestechlichkeit gegen Nüßlein. Die Union stürzte in eine Krise – und zog Konsequenzen: Nach Jahren des Widerstandes stimmten CDU und CSU kürzlich für strengere Verhaltensregeln für Abgeordnete. Plötzlich standen die Themen Lobbyismus und Nebeneinkünfte wieder auf der Agenda.

Diäten von 10.012 Euro – plus horrende Nebeneinkünfte

Gemeinsame Recherchen von abgeordnetenwatch.de und SPIEGEL zeigen nun, dass beinahe jeder dritte Bundestagsabgeordnete neben dem Mandat Einkünfte aus weiteren Tätigkeiten und Funktionen bezieht – teilweise in beträchtlicher Höhe. Demnach gaben 226 der insgesamt 709 Parlamentarier an, neben ihrem Mandat für wenigstens eine Nebentätigkeit bezahlt worden zu sein (32 Prozent).

Mehr als 35 Millionen Euro haben die Abgeordneten neben ihrer monatlichen Diät in Höhe von 10.012 Euro zusätzlich eingenommen und an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble gemeldet. Dieser veröffentlicht die Angaben auf der Internetseite des Bundestags.

Besonders hoch ist der Anteil der Nebenjobber bei CSU und FDP: Mehr als die Hälfte ihrer Abgeordneten (je 51 Prozent) gab auf der Bundestagsseite zumindest eine meldepflichtige Zahlung an, gefolgt von CDU (37 Prozent), SPD (26 Prozent) sowie AfD (24 Prozent) und Linksfraktion (21 Prozent). Die Grünen sind mit Abstand die Partei, in der die wenigsten Abgeordneten entgeltliche Nebenjobs ausüben (15 Prozent).

Verboten sind Nebentätigkeiten nicht. Nach dem Abgeordnetengesetz sind sie sogar explizit zulässig, solange das Bundestagsmandat noch „im Mittelpunkt der Tätigkeit“ steht. Bei einigen Abgeordneten ist allerdings zweifelhaft, ob dem auch so ist.

Interessenkonflikte durch Nebeneinkünfte

Einiges dazuverdient hat sich unter anderem der eingangs erwähnte Abgeordnete Georg Nüßlein. Allein seit Anfang 2021 hat der frühere CSU-Fraktionsvize mindestens 22.500 Euro gemeldet. Seit Beginn der Legislaturperiode waren es gar 221.500 Euro. Die Provisionszahlungen für die Vermittlung der Schutzmasken sind darin noch gar nicht enthalten. 

Unter den Topverdienern befindet sich auch der frühere Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU). Auf seiner Abgeordnetenseite führt der Politiker Einnahmen in einer Gesamthöhe von über einer Million Euro auf. So sitzt Ramsauer beispielsweise in mehreren Unternehmensgremien und bezieht als Berater von einem unbekannten Kunden derzeit zwischen 7.000 und 15.000 Euro im Monat.

Nüßlein und Ramsauer haben allerdings nicht nur die hohen Nebeneinkünfte gemein. Sie stehen beispielhaft dafür, wie problematisch geschäftliche Tätigkeiten neben dem Mandat sein können. Denn beide Abgeordnete betreiben ein Wasserkraftwerk und setzten sich gleichzeitig maßgeblich im Bundestag dafür ein, dass Betreiber kleiner Wasserkraftwerke künftig eine Kompensationszahlung von drei Cent pro Kilowattstunde zusteht. Für ihren Einsatz ernteten sie von einem Lobbyverband der erneuerbaren Energien viel Lob.

Wie Unternehmen sich Zutritt zur Politik erkaufen

Eine weitere Problematik bei den Nebenjobs: Durch die Beschäftigung und Postenvergabe an Abgeordnete können sich finanzstarke Unternehmen einen Zugang zur Politik erkaufen.

Veranschaulichen lässt sich das am Beispiel des ehemaligen Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder. Er sitzt zusätzlich zu seinem Abgeordnetenmandat im Aufsichtsrat des Bergbaukonzerns Saxony Minerals & Exploration AG. Für das Unternehmen ist er auch als Berater tätig und verdient so zwischen 3.500 und 7.000 Euro pro Monat. Insgesamt hat Kauder seit Beginn der Legislaturperiode vor knapp vier Jahren mindestens 157.500 Euro eingenommen.

Geld aus der Wirtschaft erhält auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Karin Maag. Sie ist Mitglied im Bundestagsausschuss für Gesundheit und erhält nebenher Geld als Beiratsmitglied der Barmenia Krankenversicherungen. Bis vor Kurzem beriet die Gesundheitsexpertin außerdem die DaVita Medical Group Deutschland, einen US-amerikanischen Anbieter von Dialysedienstleistungen für Patient:innen mit chronischem und akutem Nierenversagen. Zum 30. Juni gibt Maag ihr Bundestagsmandat nach zwölf Jahren auf und wechselt dauerhaft in die Gesundheitsbranche: Dort wird sie unparteiisches Mitglied im Gemeinsamen Bundesausschuss von Ärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen, kurz G-BA. 

Schärfere Regeln nach Maskenskandal und Lobbyaffären

Wie viel die Abgeordneten genau nebenher verdienen, ist aufgrund unzureichender Transparenzregeln nicht klar. Zwar werden die Nebeneinkünfte für jeden einsehbar auf den Bundestagsseiten der Abgeordneten veröffentlicht. Allerdings nicht als exakte Beträge, sondern in zehn groben Stufen. Hinzu kommt: Die Spanne zwischen den einzelnen Stufen ist groß. So meint Stufe 1 beispielsweise Einnahmen in Höhe von 1.000 bis 3.500 Euro, Stufe 7 reicht von 75.000 bis 100.000 Euro. Eine Obergrenze für die Höchststufe 10 (mehr als 250.000 Euro) gibt es gar nicht erst.

Doch das wird sich mit den strengeren Transparenzregeln, die der Bundestag kürzlich als Konsequenz auf zahlreiche Affären beschlossen hat, bald ändern. Ab Herbst müssen Abgeordnete Nebeneinkünfte von mehr als 3.000 Euro im Jahr auf Euro und Cent genau veröffentlichen. Das bisherige Stufenmodell wird damit abgeschafft.

Auch konnten Abgeordnete bislang Gelder in Millionenhöhe aus anonymen Geldquellen beziehen. So ist bei 15,6 Millionen Euro aus der laufenden Legislaturperiode nicht klar, wer sich hinter Bezeichnungen wie “Mandant 1” verbirgt. Auch das wird mit Änderung des Abgeordnetengesetzes nicht mehr möglich sein. Freiberuflich tätige Abgeordnete müssen dann ihre Geschäftspartner nennen – es sei denn, sie sind Berufsgeheimnisträger, wie etwa Anwälte. In solchen Fällen ist dann zumindest die Branche anzugeben. 

Das verdienen bekannte Abgeordnete im Nebenjob:

Der frühere Fraktionsvorsitzende der Linken, Gregor Gysi, spricht regelmäßig vor Publikum. Seit Beginn der Legislaturperiode im Jahr 2017 wurde er für weit mehr als 100 Veranstaltungen gebucht. Sein Gesamtverdienst durch Vorträge, Gespräche, ein Buchhonorar und eine Tätigkeit als Rechtsanwalt: mindestens 566.000 Euro.

Die ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sitzt im Verwaltungsrat des Schweizer Pharmakonzerns Siegfried Holding AG, wo sie monatlich zwischen 3.500 und 7.000 Euro kassiert. 2021 gab es für diesen Posten noch eine Zusatzzahlung in Höhe von mindestens 50.000 Euro obendrauf. Seit Beginn der Legislaturperiode vor knapp vier Jahren kommt Schmidt auf Nebeneinkünfte von mindestens 249.500 Euro. 

Der frühere Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hat Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble seit 2017 Nebeneinkünfte in Höhe von mindestens 410.500 Euro gemeldet, unter anderem als Rechtsanwalt, mit Vorträgen sowie einer publizistischen Tätigkeit. Als Vorstandsvorsitzender der Deutsche Telekom Stiftung verdiente der CDU-Abgeordnete insgesamt über 120.000 Euro.

Thomas de Maizières betreut als Anwalt einen namentlich ungenannten “Mandant 1”, von dem er seit 2019 mehr als 200.000 Euro an Honorar bezogen hat. Es wäre nicht allzu überraschend, wenn hinter der Angabe die Deutsche Telekom AG steckte. Kurz nach de Maizières Ausscheiden aus dem Amt des Innenministers im März 2018 meldete er der Bundesregierung, als Rechtsanwalt für das Telekommunikationsunternehmen tätig werden zu wollen. Die Regierung untersagte ihm die “rechtsanwaltliche Beratungstätigkeit für die Deutsche Telekom AG in den Bereichen nationale, europäische und internationale Telekommunikationsbeziehungen” für die Dauer von zwölf Monaten. Diese Sperrfrist lief 2019 aus. Im Juni selbigen Jahres tauchte “Mandant 1” dann erstmals auf de Maizières Bundestagsseite auf.

Mindestens 143.500 Euro hat der frühere SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz in der laufenden Legislaturperiode an Nebeneinkünften gemeldet. So hielt er unter anderem zwei Vorträge bei J.P. Morgan Europe Limited in London, einem weltweit führenden Finanzdienstleistungsunternehmen, das unter anderem im Investment Banking und in der Vermögensverwaltung tätig ist. Für seine Vorträge dort erhielt er jeweils Beträge zwischen 7.000 und 15.000 Euro. Als Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung bezieht Schulz ein zusätzliches Monatsgehalt zwischen 1.000 und 3.500 Euro.

Hans-Peter Friedrich (CSU), ehemaliger Landwirtschaftsminister, hat auf seiner Bundestagsseite Einnahmen in Höhe von mindestens 196.500 Euro angegeben. Zusätzlich zu seiner Diät kommt er als Mitglied des Beirates der Friedrich-Baur-GmbH auf monatliche Einkünfte zwischen 3.500 und 7.000 Euro. Bei dem Münchener Verein Krankenversicherungen ist er Mitglied im Aufsichtsrat. 2018 hatte Friedrich dafür zwischen 7.000 und 15.000 Euro jährlich erhalten, seit 2019 sind seine Einkünfte gestiegen – nun bekommt er zwischen 15.000 und 30.000 Euro im Jahr. 

Auch FDP-Parteichef Christian Lindner wird sich möglicherweise umstellen müssen. In der laufenden Legislaturperiode meldete Lindner Einkünfte in Höhe von über 472.000 Euro. Diese stammen unter anderem aus zahlreichen Vorträgen, die er zum Beispiel bei der Unternehmensberatung Baker Tilly und der Allianz Global Investors Deutschland GmbH hielt. Aufgrund des verschärften Abgeordnetengesetzes dürfen Politiker künftig kein Honorar für Reden mehr annehmen, die einen direkten Bezug zu ihrem Mandat aufweisen. Lindner sieht darin für sich kein Problem. Auf Anfrage von abgeordnetenwatch.de ließ er über einen Sprecher ausrichten, dass seine Tätigkeit als Keynote-Speaker “nicht in Zusammenhang mit seiner Mandatstätigkeit im Bundestag” stehe. Die Frage, ob Lindner Vorträge und Reden auch ohne Bezahlung halten würde, ließ er unbeantwortet.

Quelle: abgeordnetenwatch.de 
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