Interview mit dem Diplom-Psychologen Frank Lessel, Koordinator des Saarländischen Bündnisses gegen Depression.
saarlandinside: Die Barmer Krankenkasse hat für das Saarland bei Depressionserkrankungen den höchsten Wert unter allen Bundesländern und einen starken Anstieg errechnet. Warum ist das so?
Frank Lessel: Um dieser Frage beantworten zu können, muss man die Menschen fragen, die davon betroffen sind. Natürlich kann es mit den immer höheren Anforderungen im Arbeitsleben zusammenhängen oder mit der familiären Struktur. Es ist sicherlich nicht nur ein Faktor, denn eine Depression ist immer die Folge von verschiedenen Faktoren. Letztendlich gibt es so viele Depressionen wie Menschen, die eine haben. Aber um eine korrekte Antwort zu bekommen, muss man mit den Betroffenen reden.
saarlandinside: Welchen Anteil spielen dabei die Corona-Pandemie und damit verbundenen Einschränkungen?
Frank Lessel: Zum einen hat die Pandemie die Menschen mit einer Depression entlastet, da sie sich nicht mehr rechtfertigen mussten, wenn sie aufgrund ihrer Erkrankung an einem privaten oder beruflichen Treffen nicht teilnehmen konnten. Andererseits wurden Menschen in der Pandemie arbeitslos, krank oder verloren einen Angehörigen. Dies kann eine starke Belastung für die Psyche sein und zu einer Depression führen.
saarlandinside: Auch ohne Corona steigt hierzulande die Zahl der Fehltage im Job wegen seelischer Leiden seit Jahren. Was sind die Ursachen dafür?
Frank Lessel: Wie die beiden Fragen zuvor, lässt sich auch das nicht eindeutig beantworten. Die Belastungen im Beruf können sehr hoch sein und auch die Beanspruchung zum Beispiel durch das Pendeln und die familiäre Situation etwa bei alleinerziehenden Menschen. Stress ist ein weiterer Faktor, der zu einer Depression führen kann. Aber Stress wird von jedem Menschen sehr individuell erlebt. Und auch die Resilienz, also die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen, spielt hier eine erhebliche Rolle.
saarlandinside: Bei seelischen Leiden in Zusammenhang mit Arbeitsunfähigkeit fällt oft der Begriff „Burnout“, womit Symptome der körperlichen und emotionalen Erschöpfung gemeint sind. Ist das ein Modewort oder handelt es sich um eine depressive Erkrankung?
Frank Lessel: Das Burnout-Syndrom ist eine negative Folge von beruflicher Überlastung und ist eine Erschöpfungsdepression. Es ist durchaus eine Form der Depression.
saarlandinside: Wie viele Saarländer erkranken jährlich an einer Depression?
Frank Lessel: Es ist schwierig, genaue Angaben zu machen, was die Zahl der depressiven Erkrankungen im Saarland angeht, da ja nicht alle Menschen die eine Depression haben auch eine Diagnose erhalten. In einer Studie des Robert Koch Instituts geht man von etwa zehn Prozent der Bevölkerung im Saarland aus.
saarlandinside: Die Symptome für eine Depression sind vielfältig. Wie können sie von einer alltäglichen Verstimmung oder normaler Müdigkeit unterschieden werden?
Frank Lessel: Von einer Depression spricht man, wenn in einem Zeitraum von zwei Wochen, mindestens zwei der drei Hauptsymptome und dazu noch zwei der Nebensymptome vorliegen. Dies kann zum Beispiel sein, dass man antriebslos und interesselos ist, den Verlust von Freude erlebt. Auch Schlafstörungen sowie ein vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen können Anzeichen für eine Depression sein.
Die Unterscheidung zwischen Depression und normaler Müdigkeit oder alltäglicher Verstimmung ist die Zeit, wie lange diese Symptome andauern.
Müde oder schlecht drauf ist jeder mal, das kann vorkommen, aber wenn dies über einen längeren Zeitraum der Fall ist, sollte man sich Gedanken machen und dann auch schnellstmöglich einen Arzt aufsuchen.
saarlandinside: Was raten Sie Menschen, die den Verdacht haben, dass sie, einer ihrer Angehörigen, Freunde oder Arbeitskollegen unter einer Depression leiden?
Frank Lessel: Sobald man Symptome einer Depression bei sich wahrnimmt, ist es ratsam, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Egal ob man selbst betroffen ist, ein Angehöriger oder ein Freund: Man sollte darüber reden und sich Hilfe suchen. Es hilft nicht, sich auszuruhen oder nichts zu machen.
Wenn man einer Depression unbehandelt lässt, wird sie immer schlimmer und mächtiger. Je länger die Depression unbehandelt bleibt, umso schwieriger ist es, wieder aus ihr herauszukommen. Es hilft auch nicht, wenn man zum Arzt geht und sich nur Medikamente verschreiben lässt. Wenn also der Verdacht einer Depression oder depressiven Phase besteht, lieber einmal mehr zum Arzt gehen oder darüber sprechen, als zu hoffen, dass es von allein wieder weg geht.
saarlandinside: Hilfe gibt es auch bei vielen Beratungsstellen hierzulande. Eine erste Anlaufstelle ist das Saarländische Bündnis gegen Depression , das Sie koordinieren. Welche Angebote für Betroffene und Angehörige gibt es bei Ihnen?
Frank Lessel: Wir bieten ohne lange Wartezeit ein erstes Orientierungsgespräch für Betroffene und Angehörige an. Diese Möglichkeit ist als erste Informationsquelle für einige Menschen angenehmer und niedrigschwelliger, als direkt einen Arzt zu kontaktieren. Bei uns bekommt man dann die Informationen, die man für den weiteren Weg braucht. Hier sei ausdrücklich erwähnt, dass wir keine Therapie anbieten, sondern lediglich die möglichen Beratungs- und Behandlungsmöglichkeiten aufzeigen.
saarlandinside: Das Bündnis engagiert sich auch in der Aufklärung über Depression. Wie sind Ihre Erfahrungen diesbezüglich hierzulande? Wird Depression als Erkrankung anerkannt?
Frank Lessel: Wenn man zehn Jahre zurückblickt, wird die Depression nun vermehrt als eine Krankheit angesehen. Leider gibt es immer noch Menschen, die meinen, die Krankheit sei nur ein Vorwand, und nehmen sie deshalb nicht ernst. Erst wenn man selbst davon oder ein Angehöriger betroffen ist, wird einem klar, dass es eben nicht nur eine Phase ist, die bald wieder vorübergeht, sondern es wird bewusst, dass es eine ernst zu nehmende Krankheit ist, die professionelle Hilfe benötigt.
Durch die Aufklärung, die wir leisten, und auch durch das Selbsthilfeangebot, was auch für nicht direkt Betroffene gilt, haben wir in der letzten Zeit große Fortschritte gemacht. Allerdings ist es dennoch ein langer Weg, bis das Krankheitsbild auch bei jedem als solches angesehen wird.
saarlandinside: Eine Behandlungsmöglichkeit der Depression ist Psychotherapie. Stehen im Saarland ausreichend Therapeuten und Therapieplätze dafür bereit?
Frank Lessel: Im Jahr 2017 wurde die psychotherapeutische Sprechstunde eingeführt, um die bis dahin üblichen, langen Wartezeiten bis zu einem Jahr zu verringern. In dieser Sprechstunde kann geklärt werden, ob beziehungsweise welche Therapie am besten geeignet ist. Zudem kann man hier auch schon feststellen, ob die Chemie zwischen Therapeut und Patient stimmt, was einen wesentlichen Faktor bei der erfolgreichen Behandlung darstellt.
Der schnellste Weg zu einem Erstgespräch in einer therapeutischen Praxis gestaltet sich wie folgt: Der Betroffene schaut auf der Homepage der Psychotherapeutenkammer unter www.psych-info.de nach einer Praxis in seiner Nähe. Dann ruft er die ausgewählte Praxis an und erhält innerhalb von vier bis sechs Wochen ein Erstgespräch, in dem das weitere Vorgehen geklärt werden kann.
Oft fällt es depressiv erkrankten Menschen jedoch sehr schwer, Anrufe zu tätigen. In diesem Fall sollte man dann einen Angehörigen oder Freund um Hilfe bitten, der den Anruf übernehmen kann. Manchen Betroffenen fällt es auch leichter, die psychotherapeutische Praxis per Mail zu kontaktieren. In dringenden Fällen kann man sich an die Notfallkliniken im Saarland wenden, die man Tag und Nacht aufsuchen kann. Die Adressen findet man unter www.depression-saarland.de unter der Rubrik Rat und Hilfe.
saarlandinside: Haben sich neben Therapie und medikamentöser Behandlungen mit Antidepressiva noch andere Maßnahmen als wirkungsvoll erwiesen?
Frank Lessel: Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen haben sich als sehr hilfreich erwiesen. Weiterhin ist die tägliche moderate Bewegung in der Natur ein wichtiges Element. Vorsicht ist bei kommerziellen Behandlungsmethoden geboten, die ein Heilsversprechen beinhalten. Es gibt nicht DIE Behandlung oder Therapiemethode, mit der man eine Depression erfolgreich behandeln kann, sondern es sind immer viele kleine individuelle Bausteine, die aus der Depression herausführen.
saarlandinside: Statistisch betrachtet erkrankt jeder Fünfte einmal im Leben an einer Depression. Wie kann man der Erkrankung vorbeugen?
Frank Lessel: Das perfekte Rezept, einer Depression zu entgehen, gibt es nicht. Die Erkrankung hängt von vielen Faktoren ab, wie zum Beispiel vergangenen Erlebnissen, der beruflichen Situation, Familienverhältnissen, der Genetik oder generell von der Gesundheitssituation. Aber wer ein ausgewogenes Leben führt – dazu gehören gesunde Ernährung, Sport sowie ein ausgeglichenes Berufs- und Freizeitleben – der hat einige Faktoren, welche die Depression auslösen schon mal ganz gut unter Kontrolle.
Kommentar:
Initiative ergreifen!
Verschiedene Gesetze regeln die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Dabei geht es auch darum, das Wohl des Arbeitnehmers im Auge zu behalten, also seine Gesundheit zu schützen. Deshalb ist die Aufforderung der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, die Initiative zu ergreifen, mehr als nur ein wohlgemeinter Rat. Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Antriebslosigkeit und Leistungsabfall sind nur einige der Symptome, die bei einer Depression auftreten können. Einen Mitarbeiter darauf anzusprechen, zeugt von Verantwortungsbewusstsein – für dessen Wohl und letztlich auch für das Wohl des Unternehmens.
Weitere Informationen
Das Saarländische Bündnis gegen Depression ist 2009 als Projekt der Landesvereinigung SELBSTHILFE e.V. in Kooperation mit dem Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales, der Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe im Saarland (KISS) entstanden. Koordiniert wird es von Dipl. Psych. Frank Lessel.
Auf der Internetseite des Bündnisses gibt es vielfältige Informationen zu dem Thema, Kontaktadressen von Experten und Selbsthilfegruppen sowie Broschüren zum kostenlosen Download. Zudem bietet ein Selbsttest jedem die Möglichkeit, mit Hilfen von zehn Fragen herauszufinden, ob Anzeichen einer Depression vorliegen.
Kontakt
Tel. 0681 4031067
E-Mail: kontakt@depression-saarland.de
www.depression-saarland.de