Energie SaarLorLux (ESLL) erhöht kurzfristig die Fernwärmepreise für 13.000 Kunden um 26 Prozent. Wer nicht zahlen will, wird ab 1. Oktober nicht mehr beliefert. Die Verbraucherzentrale sagt, die Kündigungen seien rechtswidrig. Gemeinsam mit dem Bundesverband der Verbraucherzentralen will sie alle Möglichkeiten für die Verbraucher ausschöpfen.
Das Heizkraftwerk Römerbrücke der ESLL. Von hier erhalten die Saarbrücker Haushalte Fernwärme. © Energie SaarLorLux
Eigentlich gute Nachrichten für Verbraucher: Heizen mit Öl und Gas könnte im kommenden Winter deutlich weniger kosten als ein Jahr zuvor. Dies meldet das Vergleichsportal Verivox dieser Tage. Erdgas sei im Schnitt um sechs Prozent billiger, Heizöl sogar 23 Prozent billiger als vor einem Jahr. Schlechte Nachrichten allerdings für die Fernwärme-Kunden des Saarbrücker Energieversorgers Energie Saarlorlux (ESLL): sie müssen tiefer in die Tasche greifen, und zwar kräftig. Die Arbeitspreise pro Kilowattstunde steigen – rechtzeitig zum Beginn der Heizperiode am 1.Oktober – um satte 26 Prozent.
„Außerordentliche Kündigung rechtswidrig“
Zudem kündigt ESLL mit einer merkwürdigen Begründung und mit nur einer Vier-Wochen-Frist alle laufenden Verträge und setzt somit ihre Kunden unter Druck. Die Verbraucherzentrale des Saarlandes spricht von einer rechtswidrigen außerordentlichen Kündigung und fordert deren Rücknahme.
Fernwärmekunden mit der Pistole auf der Brust
In einem Schreiben von Ende August an ihre Kunden schreibt ESLL, dass sich „die vertraglichen Grundlagen unseres Wärmebezugs und die Kostenstruktur, die in der aktuell geltenden Preisformel abgebildet sind, sich durch äußere Einflüsse erheblich verändert haben“. Deswegen müsse man die Fernwärmelieferverträge zum 30.09.2024 kündigen. Gleichzeitig verschickt ESLL einen neuen Fernwärmeliefervertrag mit, der bitteschön innerhalb von vier Wochen unterzeichnet zurückgeschickt werden möge. Was genau diese äußeren Einflüsse sind, erfährt man auch im Begleitschreiben nicht.
Seit Anfang 2023 keine Fernwärme mehr vom Kraftwerk Saarbrücken Süd
Dort heißt es sybillinisch: „Bisher wurde die Saarbrücker Fernwärme zu einem Teil auch von einer externen KWK-Anlage im Stadtgebiet erzeugt und in das Fernwärmenetz eingespeist. Davon konnten Sie als Fernwärmekunde lange profitieren. Zwischenzeitlich wird diese Anlage nunmehr von ihrem Eigentümer in energiewirtschaftlich geänderter Fahrweise betrieben. Vor diesem Hintergrund werden die Änderungen der Preisformel notwendig“. So weit, so unklar.
ESLL-Kundencenter steht auf dem Schlauch
ESLL schreibt dann auch noch, dass man sich bei Nachfragen auch gerne telefonisch an die Kundenberater wenden könne. Gesagt, getan. „Um welche externe Anlage handelt es sich und worin besteht die energiewirtschaftlich geänderte Fahrweise“ – bei dieser Frage steht die Mitarbeiterin des Kundencenters allerdings völlig auf dem Schlauch. „Das weiß ich nicht, da müsste ich nachfragen“, so die hilflose Antwort. Also Nachfrage an die Pressestelle, „bitte schriftlich“! Dann schließlich erfährt man, dass es sich bei der „KWK-Anlage im Stadtgebiet“ um das Kraftwerk Süd der Stadtwerke Saarbrücken handelt, aus dem ESLL etwa 30 Prozent seiner Wärmeeinspeisung ins Netz erhielt. Und weiter: „Der Betrieb dieser Anlage erfolgte über viele Jahre bis Ende 2022 im Rahmen eines Pachtmodells nach dem Eigenstromprinzip. Die Wärme konnte von Energie SaarLorLux bezogen werden… [Seit] Ende 2022, wird diese Anlage nunmehr in energiewirtschaftlich geänderter Fahrweise betrieben“.
Die Vorstände von Energie SaarLorLux: (v.l.n.r.) Detlef Huth, Martin Kraus und Joachim Morsch © Energie SaarLorLux
Noch im Juli 15 Prozent Preissenkung
Das heißt also, dass ESLL schon seit dem 1.1.2023 Wärme aus einem Kraftwerk erhielt, das energiewirtschaftlich in geänderter Fahrweise betrieben wird. Warum dann also Mitte 2024 im Hauruck-Verfahren eine Kündigung aller Verträge und Änderung der Preisgleitklausel, obwohl man schon eineinhalb Jahre mit dieser Betriebsweise gefahren ist? Und zum Juli 2024 sogar noch eine Preissenkung des Arbeitspreises um ca. 15 Prozent durchführen konnte? Das alles macht keinen Sinn, und entsprechend ratlos und sauer ist die Vorsitzende der Verbraucherzentrale des Saarlandes, Elke Ferner. „Der Sinn dieser Geschäftspolitik erschließt sich mir nicht.“
Stadtwerke Saarbrücken: Haben keinen Einfluss auf Preise
Nachfrage bei den Stadtwerken Saarbrücken, der Eigentümerin des Heizkraftwerkes Süd. Die Antwort macht einen nicht wirklich schlauer: „Die Saarbrücker Stadtwerke haben keinerlei Einfluss auf den Endkundenpreis der Fernwärme. Die wird von den Stadtwerken gemäß der Einsatzkosten (im Wesentlichen Brennstoffkosten) formelbasiert an die ESLL AG geliefert“. Konkrete Fragen zur Preisentwicklung gegenüber den Endkunden könnten grundsätzlich nur von der ESLL beantwortet werden. Doch die mauert sich ein und „bitten um Verständnis, dass wir zu Erzeugungsanlagen, die nicht zur Energie SaarLorLux AG gehören, keine weitergehenden Auskünfte erteilen können“, so die Pressestelle.
Kommunale Ohnmacht gegenüber Global Player
Und so soll im engen Zusammenspiel von ESLL und Stadtwerken Saarbrücken vieles möglichst nebulös bleiben. Transparenz bei einem kommunalen Energieversorger, der früher einmal komplett in städtischer Hand war und an dem Saarbrücken heute nur noch einen Anteil von 49 Prozent hat, sieht anders aus. Schon während der Corona-Zeiten, als ESLL seine Fernwärmepreise auf ein bundesweites Rekordniveau anhob, zuckte man im Rathaus die Schulter. Der Oberbürgermeister ist zwar stellvertretender Vorsitzender im Aufsichtsrat, aber die Geschäftspolitik werde von ENGIE Deutschland, dem Mehrheitsgesellschafter, bestimmt so die Devise. Der Mutterkonzern in Frankreich erzielte 2023 einen Umsatz von 82,5 Milliarden Euro (Quelle statista.com) ENGIE war u.a. auch an der Unterwasser-Gas-Pipeline Nord Stream beteiligt, gehört also zu den großen, weltweiten Playern.
Und wenn ENGIE bzw. Energie SaarLorLux seine Unternehmensziele durchsetzen will, dann knickt man bei den Stadtwerken Saarbrücken bzw. ihren Eigentümern, der Stadt, schnell ein. (Schließlich ist man jährlich mit Millionen am Gewinn von ESLL beteiligt, gespeist aus den Taschen der Kunden von ESLL). So geschehen, als das nach der Energiekrise 1973 gestartete zukunftsweisende Projekt „Fernwärmeschiene Saar“, das ab 1984 für die Versorgung der Städte zwischen Dillingen und Saarbrücken gebaut wurde und an dem die Stadtwerke Saarbrücken Netz AG zu 26 Prozent beteiligt sind, vor einigen Jahren zwischen Völklingen und Saarbrücken still und heimlich gekappt wurde. Angeblich waren die Reparaturkosten auf der Strecke bis in den Saarbrücker Osten, zum Heizkraftwerk Römerbrücke, zu hoch. Doch damit konnte ENGIE in Saarbrücken einzig mit dem von ihr gelieferten Gas Strom und Fernwärme erzeugen. Und plötzlich war auch Geld da, um das Fernwärmenetz von der Innenstadt bis nach Gersweiler auszubauen – exakt bis zu dem Punkt an der Gersweiler Brücke, an dem früher die Fernwärmeschiene Saar auf das Saarbrücker Stadtgebiet stieß.
ESLL verkauft Ökostrom aus Gas
Unterdessen stellt sich Energie SaarLorLux als zukunftsträchtiges und umweltfreundliches Unternehmen dar – doch auch dieses Etikett muss man in Frage stellen. Sie seien „Deutschlands Beste in der Kategorie Nachhaltigkeit“, weil man alle Privatkunden mit Ökostrom beliefere. Wie das möglich ist, obwohl ESLL seine Kraftwerke ausschließlich mit Gas betreibt, bleibt ihr Geheimnis.
Zum Kraftwerks-Jubiläum Sponsoring mit dem SR
Durch Sponsoring schafft es ESLL sogar, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk SR hinters Licht zu führen. „Kraftwerk Römerbrücke läuft bald mit grünem Wasserstoff“, titelte der SR im Juni 2024 eine Meldung zum 60-jährigen Bestehen des Kraftwerks an der Saar. Was mehr als utopisch ist. Aber wenn der Sender und ESLL schon mal gemeinsame Projekte wie ein Sommerkino zum Jubiläum plant, dann schießt man auf dem Halberg im allgemeinen Überschwang schon mal gerne übers Ziel hinaus. Fakt ist: Erst mal braucht man den Wasserstoff. Aber ob der in ausreichendem Maße und vor allem „bald“ vorhanden ist, steht absolut in den Sternen.
Neue Entwicklung: Verbraucherzentrale prüft Schritte gegen ESLL
Energie SaarLorLux hat mittlerweile die Aufforderung der Verbraucherzentrale abgelehnt, die Kündigungen zurückzunehmen. Diese seien rechtlich möglich und betriebswirtschaftlich notwendig. Die Verbraucherzentrale des Saarlandes dagegen will zusammen mit dem Bundesverband der Verbraucherzentralen die Klärung mit ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln herbeiführen. Mit Sicherheit dürften in diesem Fall die Bundesnetzagentur und die Landes-Kartellbehörde eingeschaltet werden. Die Verbraucherzentrale rät daher den Kunden, der Kündigung der Verträge und der Unterzeichnung der neuen Verträge unter Vorbehalt zuzustimmen. Energie SaarLorLux lehnt Rücknahme der außerordentlichen Kündigungen ab | Verbraucherzentrale Saarland (verbraucherzentrale-saarland.de)
Bundeskartellamt fordert transparente Regeln
Das Bundeskartellamt führt aktuell sechs Pilotverfahren gegen Fernwärmeversorger. Die Behörde überprüft dabei, ob die sogenannten Preisanpassungsklauseln zulässig verwendet wurden. Präsident Andreas Mundt:
„Bei der Fernwärme haben wir es mit einem klassischen Monopolmarkt zu tun. Die Verbraucherinnen und Verbraucher können auf Preissteigerungen nicht mit einem Wechsel des Anbieters reagieren, sie sind „gefangene“ Kunden. Um so wichtiger ist es, dass Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden hier klare, transparente Regeln und Strukturen für die Preissetzung vorgeben. Erweiterte Befugnisse und Ressourcen für die Kartellbehörden könnten hier einen wichtigen Beitrag leisten, dass es bei dieser künftig noch bedeutender werdenden Energieversorgung transparent und fair zugeht.“
(Beitrag aktualisiert am 23.9.2024)