Dürfen Stadtwerke einem Schwerkranken tagelang das Wasser absperren?

Wie brachial darf ein Unternehmen der öffentlichen Hand gegen säumige Kunden vorgehen? In Völklingen haben die Stadtwerke einem schwerkranken Pflegebedürftigen das Wasser tagelang abgestellt. Über illegales Handeln eines öffentlichen Betriebs und das Schutzbedürfnis der Kunden vor Übergriffen.

Kommunale Unternehmen gelten nicht gerade als High-Performer. Wo Lokalpolitiker die Aufsicht haben, läuft es wirtschaftlich meist nicht optimal. Ein finanzielles Fiasko allerdings, wie es Kommunal-, Landespolitik und Stadtwerke in Völklingen mit der Meeresfischzuchtanlage vor Jahren hingelegt haben, ist nicht zu toppen: Missmanagement und Inkompetenz, Parteiklüngel und Politikerlügen verursachen am Ende eine 22-Millionenpleite.

Man muss diesen Skandal in Erinnerung rufen, um eine mögliche Erklärung für das rücksichtslose Vorgehen des städtischen Unternehmens gegen Kunden zu finden. Durch die 22-Millionen-Pleite waren die Stadtwerke massiv unter Druck. Die Insolvenz drohte. Schnell mussten Einnahmen erzielt werden. Die Preise wurden erhöht.

Hartes Vorgehen gegen säumige Zahler

Ein weitere Einnahme-Strategie ist offenbar unerbittliches Vorgehen gegen säumige Zahler. Die Lieferung von Strom und Trinkwasser gibt’s häufig nur gegen Bargeld, einzuzahlen am Stadtwerke-eigenen Automaten. Zum Droh-Inventar gehört auch, die Trinkversorgung zu sperren. Der Hydrantenschlüssel wird zum Inkasso-Symbol.

Verstoßen Wassersperren gegen die  Menschenwürde?

Finanziell in Not geratenen Menschen gelten nach unserem Rechtsverständnis als schutzbedürftige Kunden. Unser Staat garantiert ihnen ein menschenwürdiges Leben. Dazu gehört auch die Versorgung mit Energie und Trinkwasser. Wer mit Strom- oder Trinkwassersperren Geld eintreibt, muss nachweisen, dass dieser brachiale Eingriff in das Leben eines Menschen oder einer Familie verhältnismäßig ist und die Menschenwürde nicht verletzt. Deshalb haben saarländischen Wasserversorger laut dem Verband der Energie- und Wasserwirtschaft Saar (VEW) bisher keinem zahlungsunfähigen Kunden das Wasser abgestellt.

Die Stadtwerke Völklingen sind offenbar die einzigen Versorger im Saarland , die zahlungsunfähigen Kunden den Trinkwasserzugang sperren. Screenshot Webseite Stadtwerke Völklingen.

Stadtwerke Völklingen gehen gegen Schwerkranken vor

Außer in Völklingen. Dort macht die harte Inkasso-Kultur nicht einmal vor höchst pflegebedürftigen Schwerkranken halt. Wie der Fall der Familie Albert B. zeigt. Herr B. ist lebensgefährlich erkrankt, hat von den letzten acht Jahren mehr als drei in Krankenhäusern und Reha-Kliniken verbracht, ist „dem Tod mehrmals von der Schippe gesprungen“, wie er SAARLANDINSIDE erzählt.   

Der jahrelange Kleinkrieg 

2017 spitzt sich seine finanzielle Situation zu. Familie B. verfügt nur noch über 800 Euro Einkommen und – es kommt, wie es kommen muss – sie gerät bei den Stadtwerken Völklingen in Zahlungsverzug. Diese schicken ihm 2017 ohne vorherige Mahnungen eine Gesamtforderung von 5.800 Euro nachhause, „ohne detaillierte Aufstellung“, wie Herr B. sagt. Als die Rechnung kommt, liegt er gerade handlungsunfähig im Krankenhaus. Seine ukrainische Ehefrau, des Deutschen nicht mächtig und mit dem Online-Banking überfordert, fragt bei den Stadtwerken nach. Es wird Ratenzahlung vereinbart.

Es folgen Jahre mit weiterem Zahlungsverzug und immer wieder Nachzahlungen; es gibt gegenseitige Vorwürfe wegen Beleidigungen. Das Ehepaar erhebt schwere Vorwürfe gegen die Stadtwerke, spricht von Psychoterror. Herr B. stellt die Ungereimtheiten und das Durcheinander mit den Stadtwerken so dar:

  • Trotz mehrmaliger Bitten hätten ihm die Stadtwerke bis heute keine detaillierte Aufstellung geschickt, wie viel Geld sie zu welchem Zeitpunkt für welche Leistung schuldeten.
  • Die Stadtwerke hätten zwei Zahlungen für Trinkwasser eigenmächtig auf Strom umgebucht. Sie hätten dann wegen ausstehender Trinkwasser-Zahlungen zweimal das Trinkwasser abgestellt.
  • Zweimal habe das Amtsgericht die Stadtwerke gegen Androhung eines Ordnungsgelds von 250.000 Euro verurteilt,  Sperrungen unverzüglich aufzuheben. (Die Entscheidungen liegen SAARLANDINSIDE vor.) 
  • Bei einer Sperrung hätte es acht Tage gedauert, bis das Amtsgericht die Sperrung wieder aufgehoben hatte. Herr B.,  zu 100 Prozent schwerbeschädigt und in Pflegegrad vier eingestuft, hatte acht Tage lang kein Trinkwasser. 
  • Auf die Frage an die Stadtwerke, wie sie ohne Wasser im Haushalt klarkommen sollen, hätte eine Stadtwerke-Mitarbeiterin empfohlen, Mineralwasser zu kaufen. Eine weitere Empfehlung der Stadtwerke: “Legen Sie sich doch ins Krankenhaus”, erzählt Herr B.
  • In der aufgeheizten Situation hätte es auch Anzeigen gegeben wegen Beleidigung. Die Verfahren seien allesamt eingestellt worden. Zurzeit läuft ein Verfahren gegen Frau B. wegen Freiheitsberaubung. Die zierliche Frau soll sich im Keller einem Stadtwerke-Monteur in den Weg gestellt haben, weil sie den Verdacht hatte, dass er die Wasseruhr manipuliert hatte.
  • Es sei beinahe zu Tätlichkeiten gekommen, weil ein Stadtwerke-Mitarbeiter mit dem Hydrantenschlüssel auf ihn losgegangen sei, sagt Herr B.  Er habe den Fuß auf den Hydranten gesetzt, um zu verhindern, dass die Stadtwerke das Wasser sperren. Zu diesem Zeitpunkt im Mai 2019  hatte Familie B. zwei weitere Familien mit sieben Kindern als Mieter im Haus.
  • Als sie wegen des teuren Stroms auf einen billigeren Versorger umsteigen, hätten die Stadtwerke kurzerhand den Stromzähler mit neuer Nummer ausgetauscht. Der Wechsel zur Konkurrenz wurde so gestört und verzögert.
  • Zu allem Überfluss hätten sich ihre zwei Mieter-Familien als Mietnomaden mit Wohnungsschäden und Mietrückständen von 20.000 Euro aus dem Staub gemacht.

Inzwischen erkrankt auch die Ehefrau, wird nach einer Herzattacke als Notfall ins Krankenhaus eingeliefert; hinzu kommen neurologische und psychische Probleme – eine Folge des jahrelangen „Mega-Stresses“ mit den Stadtwerken, wie sie sagt.

Saarlandinside hat die Stadtwerke Völklingen bereits am 1.März mit den Aussagen der der Familie B. konfrontiert und um ihre Stellungnahme gebeten. Die Rechtsanwälte der Stadtwerke bestätigen vier Wochen später, am 30. März, zwar den Eingang der Anfrage, die Beantwortung bleibt trotz mehrfachen Nachfragens aber aus. Sie sei wegen Corona und Home-Office aktuell nicht möglich.

Eine alleinstehende Frau soll 6.000 Euro Wassergeld zahlen

Die Sache mit der Familie B. ist offenbar kein Einzelfall im Ablese- und Abrechnungssystem der Stadtwerke. So hat eine alleinwohnende ältere Völklingerin in zwei Jahren Wasserrechnungen von 5.000 und 6.000 Euro bekommen und ahnungslos bezahlt. Ihr Sohn hat dies im Nachhinein bemerkt und moniert. Die Wasseruhr sei kaputtgegangen, sagten die Stadtwerke und erstatteten das Geld.

Nach jahrelangem Kleinkrieg 1.000 Euro Gutschrift

Auch Familie B. hat im Chaos um Abrechnungen und im Kleinkrieg gegen die Stadtwerke nicht klein beigegeben. Es hat sich ausgezahlt: Zum Jahreswechsel erhielten sie Post von den Stadtwerken, mit 1.000 Euro Gutschrift.

Nachtrag: Trinkwassersperren werden nach Auskunft des Verbands der Energie- und Wasserwirtschaft Saar (VEW) eigentlich nicht durchgeführt, sondern es werde dem betreffenden Kunden eine Zapfstelle in der Nähe seiner Wohnung zugewiesen. Beim Strom sieht dies anders aus: 2019 hatten die saarländischen Versorgungsunternehmen rund 100.000 Haushalten, das sind mehr als 20 Prozent, wegen Zahlungsverzugs eine Stromsperre angedroht. Tatsächlich abgestellt haben sie den Strom bei 3.100 Kunden, armen oder unverschuldet in Not geratenen Menschen. Dies berichtet der Runde Tisch zur „Vermeidung von Stromsperren in einkommensschwachen Haushalten“.