Gersheim höchstverschuldete Gemeinde Deutschlands

Kommunale Schulden Teil 1: Auch Saarbrücken bundesweit in der Spitzengruppe.

Unter den Chefs der Gemeinden bis 10.000 Einwohner ist Bürgermeister Alexander Rubeck der größte Schuldenbuckel der Republik. Zu lange und zu exzessiv hat Gersheim über seine Verhältnisse gelebt. Und der Orchideengemeinde blüht auch in Zukunft nichts Gutes. Das sagen amtlichen Daten und Kommunalexperten. Im Saarland steht noch am besten St. Ingbert da. Eine Analyse des drohenden Crashs.

Die saarländischen Kommune bedienen sich  an den Krediten bei Banken und Sparkassen, ohne Plan, wie die Schulden je zurückzuzahlen wären. Rubeck und sein Gemeinderat muten jedem ihrer 6.591 Bürger vom Säugling bis zum Greis 11.696 Euro Schulden zu. Das ist der höchste Pro-Kopf-Schuldenstand bundesweit. Da kommen selbst die kränkelnden Klein-Kommunen in Nordrhein-Westfalen (Spitze Heimbach mit 5.304 Euro) und die ebenfalls chronisch überschuldeten Hessen-Gemeinden (Spitze Bad Soden Allendorf mit 9.715 Euro) nicht ran. Auch im innersaarländischen Vergleich schlägt Gersheim die Schulden-Hauptstadt Saarbrücken (10.682 Euro) noch um glatt einen Tausender. Die Gersheimer Pro-Kopf-Verschuldung von 11.696 Euro im Vergleich:  St. Ingbert hat nur eine Gesamtlast von 2.598 Euro, kommt Ende 2015 sogar ganz ohne Kontoüberziehung aus, ebenso Saarwellingen und Losheim.

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Sozialausgaben nicht ausschlaggebend
Gersheim gehört bei den Personalkosten zum teuersten Drittel der Saar-Kommunen; bei der Steuereinnahmekraft, Indikator für die finanzielle Leistungsfähigkeit, aber zu den schwächsten zehn. Die Kommunen verteidigen sich häufig mit dem Hinweis auf hohe Soziallasten. Vergleicht man Gersheim in diesem Punkt mit den gleichgroßen Gemeinden Weiskirchen, Oberthal, Ensdorf und Großrosseln, steht die Bliesgau-Gemeinde relativ gut da: niedrigere Arbeitslosigkeit, geringere Armuts- und niedrigste Hartz-IV-Quote. Die Soziallasten sind es also nicht, die die Gemeinde Gersheim drücken. Auch die Flüchtlingsaufnahme ist kein Kostenfaktor. Diese Kosten übernehmen weitgehend Bund und Land.

Ausufernde Kassenkredite – Schuldenberge unserer Kinder
Die große Gefahr für die Städte und Gemeinden entsteht weniger durch Kredite, mit denen Straßen saniert oder Kindergärten gebaut werden, sondern wenn Kämmerer für den laufenden Verwaltungsbetrieb permanent mehr ausgeben als sie einnehmen. Die Folgen solcher Misswirtschaft sind gar nicht dramatisch genug einzuschätzen. Verschuldung ist nichts weiter als vorgezogener Konsum, der in der Zukunft ausfällt. In der Politik, insbesondere der saarländischen, ein Mittel, um ein Problem aus der Gegenwart in die Zukunft und auf die künftigen Generationen zu verlagern. Die sollen dann auch noch für die aufgelaufenen Zinsen aufkommen. Auf Schuldenbergen können aber keine Kinder spielen.

Was kümmert mich mein Gesetz von gestern…
Die Schäden ausufernder Überziehungskredite für ein gesundes Gemeindeleben waren schon zu SPD-Zeiten ein Thema. 1997 hatte der Landtag im Kommunalen Selbstverwaltungsgesetz (KSVG) die Gemeinden zwar verpflichtet, einen Haushaltssanierungsplan mit Zielen und Maßnahmen zum Schuldenabbau vorzulegen, setzte aber das Gebot prompt im Jahr drauf auf Drängen der Bürgermeister wieder außer Kraft; die Kommunalwahlen standen an. Die Landtagsabgeordneten stornierten die Sparmaßnahme jeweils auch in den folgenden zwölf (!) Jahren, bis 2010. Und von Gersheim bis Weiskirchen wuchsen die Schulden rasant. Diese De-facto-Abschaffung der Sanierungspläne war der erste große Sündenfall.

Eine Schuldenbremse, die Schulden vermehrt
Eigentlich hätten sich 2011 die Gemeinden wieder an die Haushaltssanierung ranmachen müssen, hätten die Landespolitiker nicht per Erlass den gesetzlichen Sparzwang unterlaufen: Fürderhin sollten die Gemeinden – auf der Basis des 2010er Defizits – ihre Neuverschuldung jährlich um zehn Prozent kürzen, so dass 2020 keine neuen Schulden mehr gemacht würden. D.h.: Die Defizite wachsen – zwar jedes Jahr weniger – aber in der Gesamtsumme bis 2020 immer höher. Mit diesem Schuldenbremsen-Erlass war die Handbremse erneut gelöst, die Bürgermeister konnten beim Geldausgeben wieder Gas geben – und die Karre immer tiefer in den Schulden-Sumpf fahren. Der zweite Sündenfall.

Die Ursachen sind hausgemacht
Beunruhigte Kommunalpolitiker wie der Neunkircher OB Jürgen Fried meinten schon früher, das Innenministerium hätte in den undisziplinierten Gemeinden einen Spar-Kommissar einsetzen müssen. Aber im Saarland bleiben solche Initiativen schnell im Parteien-Netzwerk hängen. Wer will einem Parteifreund schon am Zeug flicken? Soll man die Genossen und Parteifreunde in den Stadt- und Gemeinderäten desavouieren und ihnen Wohltaten für das Wahlvolk verbieten? Die Ursachen der Kommunal-Verschuldung im Saarland, der bundesweit höchsten, sind also hausgemacht: die Führungsschwäche der Innenminister seit 1998, die Willfährigkeit der Landtagsmehrheiten und die Undiszipliniertheit der Bürgermeister. Kommunal- und Landespolitik sind dabei, die Eigenständigkeit des Landes aufs Spiel zu setzen.

Permanenter Gesetzesverstoß
Der Bürgermeister Schulden-Politik ist ein klarer Verstoß gegen das Gesetz, da die Ausgaben prinzipiell nicht höher sein dürfen als die Einnahmen. „Mit dem gesetzlich normierten Haushaltsausgleich ist dieses Verfahren nicht zu vereinbaren“, stellt deshalb der Kommunalrechtler Rainer Weirich in seinem KSVG-Kommentar zur Rechtmäßigkeit der Schuldenbremse fest. Klare Ansage auch von Prof. Martin Junkernheinrich in seinem Gutachten zu den kommunalen Finanzen im Saarland: Die Landesregierung sei „Mitverursacher“ der Schuldenkrise, weil sie sich „zum Kontrolleur eigenen Verhaltens erhebt“ und „alle Augen zugedrückt“ hat. Die Innenminister – seit 1999 Klaus Meiser (heute Landtagspräsident), Annegret Kramp-Karrenbauer (heute Ministerpräsidentin) und Monika Bachmann (heute Sozialministerin) –  hätten eine Mitschuld am kommunalen Versagen, denn sie hätten den Zwang zu Haushaltssanierungsplänen und die Genehmigungspflicht von Kassenkrediten aufgehoben.

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Vor der Kommunalwahl großzügig
Der Kommunal-Rechtsexperte Weirich hält schärfere Vorgaben für zwingend notwendig. Ein Großteil der Bürgermeister aber hält nicht einmal die aktuellen, laxen Vorschriften ein. Zurück zum Beispiel Gersheim: Gemäß dem Innenminister-Erlass hätte Rubeck seit 2011 seinen Bürgern bis Ende 2015 höchstens mit 8,7 Millionen Euro an zusätzlichen Schulden aufhalsen dürfen, tatsächlich waren es 9,7 Millionen. Aber der Innenminister zeigte sich dennoch spendabel: Er überwies in diesem Jahr Rubeck 218.000 Euro aus dem Kommunalen Entlastungsfonds. Auffallend: Besonders locker trieben manche Bürgermeister 2012 und 2013, vor der Kommunalwahl. Der Vollständigkeit halber: Rubeck hatte 2009 von seinem Vorgänger bereits 18,5 Millionen Gemeinde-Dispo übernommen. Sein Konto-Stand Ende 2015: 31,5 Millionen Euro Miese.

Arme Kommunen werden noch ärmer
KfW-Research, das volkswirtschaftliche Kompetenzzentrum der Kreditanstalt für Wiederaufbau, warnte Anfang des Jahres vor den Folgen der hohen Verschuldung: „Schon jetzt fallen notwendige Investitionen in hoch verschuldeten Kommunen deutlich niedriger aus als in gut situierten Kommunen. Die räumlichen Disparitäten zwischen den Regionen und Kommunen werden darum in Zukunft zunehmen.“ Wer jahrelang einigermaßen diszipliniert gewirtschaftet hat, dem wird es künftig relativ bessergehen. Der Bund der Steuerzahler Saarland formuliert es direkter: „Es wird wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis auch unter den saarländischen Kommunen eine Zweiklassengesellschaft entsteht. Auf der einen Seite die wohlhabenden Kommunen, die von der guten Wirtschaftslage profitieren und dank geringer Schulden und hoher Einnahmen mit attraktiven Angeboten um Unternehmensansiedlungen und Zuzügler werben können. Gleichzeitig wird die Zahl finanzschwacher Gemeinden wachsen, die ihre Leistungen immer weiter reduzieren müssen und im Standortwettbewerb an Boden verlieren.“

Das Land verklagen wollen und selbst Millionen versenken
Die Verwaltungschefs reden ungern über die „angespannte Finanzlage der Kommunen“ – eine sprachliche Bagatellisierung sondergleichen –  und Auswege aus dem Desaster sind schon gar kein Thema. Schuldzuweisung stattdessen. Der Präsident des Saarländischen Städte- und Gemeindetags, Klaus Lorig, sagte im November 2014 bei einer Demo vor dem Landtag, für die Kommunen sei der Zeitpunkt gekommen, das Land zu verklagen. Die Kommunen seien nicht mehr handlungsfähig, sagte Lorig. Als Völklinger CDU-Oberbürgermeister wirkte er selbst dabei mit, 24 Millionen Euro in der Fischzuchtanlage zu versenken, zwei Drittel der Steuereinnahmen der Stadt. Über eigene Anstrengungen oder Konsolidierungskonzepte kein Wort. Realitätsverdrängung als Flucht aus kommunaler Handlungsunfähigkeit. Das gilt auch für den saarländischen Städte- und Gemeindetag, der noch am 20. Juli in einer vom Bundesverband übernommenen Presseerklärung Entwarnung gab: „Finanzlage der Kommunen insgesamt verbessert!“ Im Saarland ist das Gegenteil der Fall. Die Bürgermeister rennen immer schneller zum Abgrund, wie die Lemminge. Auch die tun es, ohne Sinn, aber weil es alle tun.

Charlotte Britz an der Spitze der Lemminge
Auch die erste Vizepräsidentin des Städte- und Gemeindetags, die Saarbrücker Oberbürgermeisterin Charlotte Britz, macht Schulden ohne Ende. Zurzeit steht sie für die Landeshauptstadt mit knapp 800 Millionen Euro im Dispo und zählt damit unter den kreisangehörigen Städten in der Größe 150.000 bis 200.000 Einwohner bundesweit zur Spitzengruppe. Sparkonzept? Fehlanzeige. Britz und die SPD-gesteuerte Stadtratsmehrheit finanzieren weiterhin freigiebig öffentliche Vergnügen und Traumprojekte: Millionen für große Spektakel, Werbekampagnen und Kino-Unterhaltung für ein Mini-Publikum (Filmhaus), Millionen-Verluste beim kläglichen Versuch, als Stadt Unternehmertum zu spielen (z.B. IT-Service, Immobiliengeschäft Horch), Millionen vergeuden in mangelhaftem Projektmanagement (Stadtautobahn-Tunnel), etc.  Ihr Anti-Schulden-Konzept richtet sich – wie könnte es anders sein – an die Anderen: Bund und Länder sollen die Saarbrücker Schulden ablösen. Das unbekümmerte Geldausgeben geht inzwischen munter weiter und die Lemminge laufen weiter in die Saar.

Von Sümpfen und quakenden Fröschen
Innenminister Klaus Bouillon regte unlängst an, die Gemeinden sollten zum Sparen wenigstens Aufgaben zusammenlegen. Bei Bürgermeister Rubeck, im Landesvorstand der CDU Experte für Kommunales, und seinen Nachbarn im Gau stieß er zunächst auf tumbe Ablehnung. Wer Sümpfe trockenlegen will, sollte nicht die Frösche fragen, ob sie es erlauben. Inzwischen sondieren sie wenigsten die Möglichkeit der gemeinsamen Lohnbuchhaltung. Damit ist wieder Zeit gewonnen, bis nach der Wahl, aber irgendwo und wann steht immer eine Wahl an. Die lokalen Größen fürchten schwindende Macht und Einfluss, ängstigen sich um ihre Wiederwahl und den sicheren Job. Zukunftsdenken und Verantwortung für Gemeinwohl und kommende Generationen reichen vom heimischen Kirchturm aus nicht weit.

Apropos Kirchturm: Als die Gemeinde Gersheim 2006 das alte Pfarrhaus in Gersheim für Zwecke der Gemeinde und des Schullandheims sanieren wollte, vermittelte das Land einen 100 Prozent-Zuschuss aus einem Sonderprogramm des Bundes als Modellprojekt einer hochwertigen denkmalgerechten Sanierung. Die Gemeinde wollte die in Aussicht gestellte knappe Million Euro dann doch nicht; der Bürgermeister, Rubecks Vorgänger, hatte vergessen, den Antrag zu stellen. Sagte er.

Schulden-Ranking der Saar Kommunen

Quellen: Landesamt für Statistik, Bundesamt für Statistik, KfW Research (Januar 2015), Haushaltssteuerung.de, Bertelsmann-Stiftung, wegweiser-kommune.de, KSVG-Kommentar Lehné/Weirich (2014)
Prof. Martin Junkernheinrich: Gutachten zu den kommunalen Finanzen im Saarland (April 2015), 
Saarbrücker Zeitung,  Bund der Steuerzahler Saarland, Saarländischer Städte- und Gemeindetag,
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung