Ist irgendwann mal Schluss mit der Großen Koalition im Saarland?

Realsatire im Wahlkampf: Der Patient Saarland nach zehn Jahren schweren Groko-Leiden auf der Intensivstation. Das Bild entstand, als die Spitzenkandidaten Tobias Hans und Anke Rehlinger die Intensivstation der SHG-Klinik in Völklingen eröffneten.
© BeckerBredel
Ein Kommentar über die Große Koalition, den Umgang der Medien mit kleinen Parteien und den Mehltau über der Landesregierung.  

„Saarland ist zu klein für kleine Parteien“ – so die Überschrift über einem regionalen Leitartikel von Daniel Kirch in der Saarbrücker Zeitung vom 19. Dezember 2021. Diesen Satz muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – und dann ganz schnell wieder ausspucken. Denn darin ist eine vergiftete Botschaft versteckt: Nur die großen Parteien, also CDU und SPD, haben bei der Landtagswahl 2022 eine Chance auf die Regierungsbildung.

Nach zehn Jahren Groko Saarland finanziell am Abgrund

Einmal abgesehen von der undemokratischen Gesinnung, die in dieser Überschrift zum Ausdruck kommt – die Realität sieht ganz anders aus: Seit zehn Jahren regiert im Saarland diese große Koalition von CDU und SPD. Und die Wählerinnen und Wähler sollten sich nur die eine Frage stellen: Wie steht das Saarland nach diesen zehn Jahren eigentlich da?

Hier die Antwort: Das Wirtschaftswachstum ist im Bundesvergleich unterdurchschnittlich, beim Ausbau der erneuerbaren Energien hinkt das Land hinterher, die Verschuldung dagegen ist mit 14 Milliarden Euro exorbitant hoch. Und die Leute stimmen mit den Füßen ab. „Nach einer kurzen Wachstumsphase ab Ende der 1980er Jahre befindet sich das Saarland seit 1996 wieder in einer Schrumpfungsphase“, heißt es auf dem Bund-Länder-Demografie-Portal der Bundesregierung. „Gegenüber 1990 hat das Saarland fast 90.000 beziehungsweise acht Prozent seiner Einwohner verloren. Die Zuzüge aus dem Ausland reichen nicht aus, die anhaltende Abwanderung in andere Bundesländer und das seit 1971 bestehende Geburtendefizit auszugleichen…Es ist davon auszugehen, dass die saarländische Bevölkerung zukünftig immer weiter schrumpft.“

Peinlichkeiten und Plattitüden von Hans

Wenn man dagegen die Wahlkampfwerbung von CDU und SPD anschaut, scheint alles perfekt gelaufen zu sein, um erneut den Regierungsauftrag der Wähler zu bekommen. „Als CDU-geführte Landesregierung haben wir in den letzten Jahren viel erreicht“, tönt es von der Wahlkampfplattform von CDU-Spitzenkandidat und Ministerpräsident Tobias Hans im Internet. Hingelegt hat Hans allerdings in der Vergangenheit einige Peinlichkeiten. Bereits einen Tag, nachdem er sein Wahlkampf-Team vorgestellt hatte, verabschiedete sich zum Beispiel die Kandidatin für den Bereich Kultur, weil sie auf einer Corona-Demo ohne Maske aufgetreten war. 

Viel Kritik erntete Hans auch mit seinem selbst aufgenommenen Twitter-Video zu den Rekord-Spritpreisen, in dem er der Bundesregierung vorwirft, sich durch hohe Steuereinnahmen daran zu bereichern. Besonders aber für diesen Satz: „Das trifft jetzt nicht nur Geringverdiener, sondern das trifft wirklich die vielen fleißigen Leute, die tanken müssen, die ihre Dieselfahrzeuge tanken, die zur Arbeit fahren, die die Kinder zum Sport bringen.“ In Talkshows dagegen war Tobias Hans des Öfteren zu Gast, fiel dort aber vor allem wegen seiner hohlen Polit-Plattitüden auf. Mag sein, dass man einfach so wird, wenn man die Karriere Kreißsaal – Hörsaal (ohne Abschluss) – Plenarsaal absolviert hat. Möchte man aber so einen Politiker weitere fünf Jahre als Ministerpräsidenten haben? Gegenfrage: Wen hätte die ausgeblutete CDU nach 23 Jahren in der Staatskanzlei statt seiner anzubieten?

Saartümelei und jede Menge Ankündigungen von Rehlinger

Schauen wir auf die Mitregentin und Herausfordererin von der SPD, Anke Rehlinger. Ihre Wahlkampfpostille mit dem Titel „Echte SaarlandLiebe“ ist genau so peinlich saartümelnd wie die Wahlwerbung von Tobias Hans. In Nunkirchen geboren und dort heute immer noch lebend – das hebt sie als ihr Qualitätsmerkmal hervor. Wo aber bleibt in der Biographie der Blick über den Tellerrand, den man sich von einer Ministerpräsidentin wünschen würde. Eine ähnliche Vita hat übrigens auch Tobias Hans vorzuweisen: in Münchwies geboren, aufgewachsen und immer dort geblieben. Ist das das Zeug, aus dem unsere politischen Führungsfiguren gemacht sind?

Doch bleiben wir bei Anke Rehlinger. Zehn Jahre hatte sie Zeit, um als Wirtschaftsministerin das Land voranzubringen. Ihr Wahlkampfprogramm („Ich werde Ansiedlungen und Arbeitsplätze zur Chefinnensache machen“) ist eine Anhäufung von Ankündigungen, die man längst hätte umsetzen können. Und siehe da: Sie hat auch einen Plan, um den Anteil erneuerbarer Energien im Saarland bis 2030 mindestens zu verdoppeln und die CO2-Emissionen zu halbieren. Genauer wird sie leider nicht. Aber warum hat sie damit nicht in den vergangenen zehn Jahren längst begonnen?

Es wäre traurig, wenn es so lustlos weiter ginge – immer am Rand des Untergangs und mit saarländisch-beseelter Schunkellaune. Wer die Selbständigkeit des Saarlandes bewahren will, muss mehr tun, als nur verwalten. Bekommen eigentlich saarländische PolitikerInnen mit der Muttermilch eingetrichtert, als erste Lösung der eigenen Probleme nach dem Geld anderer zu rufen? 

Kleine Parteien werden unterdrückt                   

„Man muss kein Prophet sein: Nach der Landtagswahl wird die große Koalition bleiben, egal ob mit CDU oder SPD an der Spitze“, folgert dagegen Daniel Kirch in seinem Kommentar aus dem miserablen Zustand von Grünen, AfD und Linken. „Die meisten kleinen Parteien, die das verhindern wollen, tragen durch ihre Politikunfähigkeit in Wahrheit selbst dazu bei.“ Das Schlimme daran: CDU und SPD würden die große Koalition gerne fortsetzen, wenn auch möglicherweise andersrum. Läuft für sie ja alles wie geschmiert, politische Unterschiede sind kaum zu erkennen.

Und SZ-Chefredakteur Peter Stefan Herbst wird nicht müde, auf die Unerfahrenheit der Kandidaten aus den kleinen Parteien zu verweisen, die bisher noch nicht im saarländischen Landtag vertreten sind und denen man deswegen nicht viel zutrauen dürfe. Ob das wirklich ein Argument ist angesichts der Regierungsqualitäten einer Monika Bachmann oder eines Klaus Bouillon – da sind doch arge Zweifel angebracht.

Insgesamt liegt Mehltau über dieser Landesregierung. Seit 1956 wurde das Saarland mal schwarz oder rot regiert, nur selten waren kleinere Partner dabei. Ratschläge von Experten, wie man aus dem überverwalteten Saarland ein effektives Gebilde machen könnte (zum Beispiel durch die Reduzierung von sechs Landkreisen auf drei oder nur zwei), liegen seit vielen Jahren auf dem Tisch – scheitern aber an CDU und SPD wegen der damit verbundenen Verlustängste vor den politischen Pfründen. Da wünscht man sich wirklich mal frischen Wind für die neue Regierung – und mögen die neuen Mitglieder der Landesregierung noch so unerfahren sein. Deswegen dieser Schrei der Verzweiflung: Wann ist endlich Schluss mit der großen Koalition im Saarland? Und als Antwort auf Daniel Kirch: Nein, das Saarland ist nicht zu klein für kleine Parteien!

Die Großen bekommen Berichte, die Kleinen müssen Anzeigen kaufen

Nebenbei: Die Saarbrücker Zeitung unterstützt mit ihrer Berichterstattung nicht nur auf großzügige Art und Weise die große Koalition, sie hat auch per Redaktionsbeschluss festgelegt, längere Interviews oder Berichte in der Vorwahlzeit nur noch mit Kandidaten der Parteien zu machen, die im Landtag oder im Bundestag vertreten sind! Die anderen dürfen sich über bezahlte Anzeigen bei der SZ „einkaufen“. So kann man schließlich noch Geschäfte machen.

Und so wundert es auch nicht, dass in einer Broschüre des Vereins medienebene (vormals „Jugendpresse rlp“, also Rheinland-Pfalz) zur Landtagswahl nur die sechs Parteien ausführlich dargestellt werden, die laut Umfragen die Chance haben, in den Landtag einzuziehen. ( https://wahlen.wirklichwahr.org/ )Die zahlreichen kleinen Parteien werden jeweils mit wenigen Zeilen abgetan, es gibt noch nicht einmal einen Hinweis auf ihre Internetseiten. So also sieht das demokratische Verständnis der jungen Journalisten aus, die diese Broschüre gemacht haben. Absolut verwunderlich ist auch, wie unkritisch sie zum Beispiel das Interview mit dem 83jährigen AfD-Kandidaten Josef Dörr mit der Überschrift „Ich habe die Verbindung zur jungen Generation nie verloren“ geführt haben. Dazu ein Foto, auf dem Dörr milde lächelnd daherkommt wie der liebe Opa von nebenan. Keine Frage zu den rechtsradikalen Tendenzen der Partei, zur Beobachtung durch den Verfassungsschutz, zu Dörrs Nähe zu Neonazis .

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Wirklich wahr. Chemnitz 2018: Der damalige AfD-Landesvorsitzende Josef Dörr eng an eng mit den AfD-Rechtsextremen Björn Höcke und Jan Kalbitz in der ersten Reihe eines Pegida-Aufmarschs. Die weiße Rose als Symbol des Widerstands gegen den Staat mit der Anspielung auf die Widerstandsgruppe gegen das Dritte Reich. Inzwischen ist Josef Dörr wegen Kontakten zu Neonazis aus der AfD geflogen. © John MACDOUGALL / AFP

 

Da hätte Daniel Kirch von der Saarbrücker Zeitung, der für diese Broschüre als Chefredakteur ausgewiesen wird, besser aufpassen müssen. Denn schließlich wurde das Druckwerk mit einer Auflage von 16.000 Exemplaren speziell an Jungwähler und deswegen auch in Schulen verteilt, mit finanzieller Unterstützung von den drei politischen Stiftungen im Saarland erstellt (Villa Lessing/FDP, Stiftung-Demokratie/SPD, Unionsstiftung/CDU). Die drei Stiftungen wiederum sind Anteilseigner an der Saarbrücker Zeitung – da schließt sich der Kreis.

Vorbildlich dagegen informiert der Saarländische Rundfunk, der in Hörfunk und Fernsehen sowie auf seinen Internetseiten nicht nur die etablierten, sondern auch alle anderen, kleinen Parteien mit ihren Spitzenkandidaten vorstellt.

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