Krebsrisiko und Esskultur: Das Lyoner-Dilemma der Saarländer

Wer sich schlecht ernährt und fettleibig ist, sich zudem wenig bewegt, riskiert Krebs. Was saarländische Lebensart mit bösartigen Erkrankungen zu tun hat, lesen Sie im Saarlandinside-Gesundheitsreport Teil III.

Bluthochdruck, hohe Blutfett- und Blutzuckerwerte – bei allen drei Diagnosen ist das Saarland unter den Westbundesländern führend. Nirgendwo leiden so viele Menschen an diesen chronischen Krankheiten und an Übergewicht. Was entzündliche Prozesse im Fettgewebe verursacht und Krebs fördert (RKI).

Krebsursache Ernährung: Saarländer lieben deftige Kost

Die saarländische Hausmannskost ist eher deftig und gehaltvoll, eine Erblast aus jahrzehntelanger Schwerstarbeit auf Grub und Hütt. Wer im Hammerwerk schuftete oder vorm Stoß Kohle haute, machte diesen Job zum Überleben. Im Alltagsleben herrschten Mangel und Anspruchslosigkeit. Auf den Tisch kam das Billigste, Hauptsache deftig und viele Kalorien, der Schwerstarbeit angemessen.

„Hauptsach gudd gess“

Heute wird die Arbeit überwiegend im Büro verrichtet und auch in der Produktion sind die Tätigkeiten heute weit weniger anstrengend. Die hochkalorige und großportionierte Nährstoffzufuhr ist geblieben. Sie hat sich im saarländischen Glücks-Motto gehalten: „Hauptsach gudd gess.“ Manche regionale Spezialität deckt den Kalorienbedarf von Otto Normalsaarländer für den ganzen Tag.

Saarländer sind übergewichtig

Das hat Folgen: Saarländer über 18 Jahre sind laut der Adipositas-Statistik die Fettleibigsten unter den Westdeutschen. Sie haben die meisten Fettstoffwechselstörungen und die meisten Diabetes 2-Fälle vorzuweisen, 30 Prozent über Bundesschnitt.  Sie essen – wie die Bremer – am seltensten Obst und Gemüse (GEDA, Gesundheit in Deutschland Aktuell). Wenig Vegetarisches, wenig Ballaststoffe bei einem oft gleichzeitig hohen Anteil von rotem Fleisch, Wurst und Schinken, das sind Risikofaktoren für mehrere häufige Tumorarten (RKI).

Womit wir unvermeidbar beim saarländischen Lyoner-Dilemma wären. Fleischwurst und Fleischkäs gelten an der Saar als Inbegriff von Esskultur und Lebensgefühl. Andererseits sind sie eindeutige Risikofaktoren für bösartige Erkrankungen, auch in geringen Verzehrmengen. Denn bei der Krebs-Prävention geht es nicht nur um die Größe der Portionen, sondern auch um das, was in der Wurst an Chemie steckt.

Mannhaftes Zupacken für die Rettung eines Kulturguts. Die Wurstfabrikanten Harald Feit, Markus Strauß (Geschäftsführer der Saar-Fleischerinnung) und Innungsmeister Volker Wieder (von links) freuen sich mit Minister Reinhold Jost (SPD). Die Landesregierung hat soeben 3.000 Euro für den Markenschutz des Lyoners locker gemacht.
Höherer Fleischkonsum bedeutet höheres Krebsrisiko

Die Harvard University hat 1200 Studien zur Ernährung von 120.000 Frauen und Männern analysiert. Deutliches Ergebnis: Wer täglich 50 Gramm verarbeitetes Fleisch wie Lyoner, Salami oder Schinken isst, steigert das Sterberisiko durch Krebs um 20 Prozent, das Risiko einer Herzerkrankung um 40 und für Diabetes um 20 Prozent. Ein Knackpunkt sind die Chemikalien in der Wurst, insbesondere das Pökelsalz Natriumnitrit (E250); es bildet bei Erhitzung krebserregende Nitrosamine.

Eindeutig nachgewiesen ist der Zusammenhang von Wurstessen und Darmkrebs. Bei bösartigen Erkrankungen an den Verdauungsorganen liegt das Saarland bundesweit an der Spitze. In den letzten 20 Jahren haben sie bei den Männern um 40 Prozent zugenommen. Bei Frauen ist die Rate über die Jahre gleichgeblieben.

Inzidenzen von 484 (Perl) bis 912 (Mandelbachtal).

Auch das Risiko für Magenkrebs, Brust- und Lungenkrebs steigt bei hohem Wurstverzehr. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat deshalb verarbeitetes Fleisch in die gleiche Gefahrenkategorie eingestuft hat wie Tabak, Asbest und Alkohol. Der Durchschnittssaarländer isst 75 Gramm verarbeitetes Fleisch pro Tag. Da immer mehr junge Menschen ganz auf Fleisch verzichten, essen ältere Konsumenten also offensichtlich deutlich mehr.

Weltgesundheitsorganisation: Nur 20 Gramm Wurst pro Tag

Die Vorgaben der Ärzte zum Wurstkonsum setzen deshalb tief an. Aufgrund der wissenschaftlichen Studien raten viele Ernährungsmediziner nur zu circa 20 Gramm pro Tag, was einer dünnen Scheibe Schinken entspricht. Die Ernährungsmedizinerin Dr. Silja Schäfer von den „Ernährungs-Docs“ will eigentlich keine Lebensmittel verteufeln. „Die Studien bestätigen jedoch, dass man die Finger von verarbeitetem Fleisch lassen soll,“ sagt sie.

Großer Hunger braucht Großflächenplakate: Globus verkauft in seinen saarländischen Märkten eigenen Angaben zufolgeen passant  – mehr als eine Million Fleischkäsweck pro Jahr.
Weltgesundheitsorganisation: Nur 500 Gramm Fleisch die Woche

 Die WHO warnt auch vor übermäßigem Verzehr von „rotem Fleisch“ von Rind, Schwein, Lamm und Ziege, einschließlich dem in verarbeiteten Lebensmitteln und den meisten Beefburgern enthaltenen Fleisch. Es ist zwar eine gute Quelle verschiedener Nährstoffe, vor allem aber ein Risiko für Darmkrebs. Der statistische Saarländer isst 57 Kilo Fleisch im Jahr, so die Auskunft der Fleischerinnung. Das sind pro Woche mehr als ein Kilo, vom Kind bis zum Greis. Als Richtwert empfiehlt die WHO weniger als die Hälfte, nicht mehr als 500 Gramm.

Aus Lyon kommt dieser Tage von der Internationalen Krebsforschungsagentur (IARC) die Nachricht, dass auch Lebensmittel-Fertigprodukte mit viel Kalorien, Geschmacksverstärkern und Zusatzstoffen wie Transfetten das Krebsrisiko um bis zu 40 Prozent erhöhen können (Süddeutsche Zeitung). 

Auch beim Alkoholkonsum vorne dabei

Durch zu viel Bier, Wein und Schnaps droht vor allem Krebs an Darm, Mundhöhle und Rachen, Leber, Speiseröhre und Kehlkopf (RKI). Zwar trinken die Saarländer insgesamt weniger als der Durchschnittsdeutsche (Alkoholatlas Deutschland 2022), leiden aber überdurchschnittlich unter ärztlich diagnostizierten Alkoholerkrankungen. Bei den 20 bis 29jährigen ist die Alkoholerkrankung von 2016 bis 2021 um 24 Prozent gestiegen. Bei den 60 bis 69jährigen ist der Anteil der Alkoholkranken siebenmal größer als bei den 20 bis 29jährigen (BARMER).

Unter den Westbundesländern kommen die Saarländer am häufigsten ins Krankenhaus mit ausschließlich durch Alkohol bedingten Diagnosen. Die Trinker-Klientel wird jünger. In keinem West-Bundesland landen so viele Jugendliche wegen „psychischer und Verhaltensstörungen durch Alkohol“ im Krankenhaus (Alkohol-Atlas).

Saarländer rauchen am wenigsten

Etwa 20 Prozent der Krebserkrankungen sind auf Tabakkonsum zurückzuführen (RKI). Allerdings wird im Saarland im Bundesvergleich am wenigsten geraucht (Bundesamt für Statistik). Gleichwohl gelten auch im Saarland Zigarette und Zigarre als Krebsauslöser Nummer Eins. Neun von zehn Lungenkrebsfälle bei Männern ist aufs Rauchen zurückzuführen.

Bewegungsmangel im „Autoland Saarland“

Das Vorankommen aus eigenem Antrieb ist die Sache des Saarländers nicht. Gerade mal elf Prozent der Saarländer fahren Rad. Das ist nur ein Drittel des Bundesdurchschnitts (RKI). Auch beim Gehen machen sie schnell schlapp. In Punkto Ausdaueraktivität und Muskelkräftigung (150 Minuten Bewegung in der Woche, mindestens an zwei Tagen) schnaufen sie am Ende der Länder-Tabelle. Was dazu passt: Das Saarland hat den höchsten Motorisierungsgrad in Deutschland, 658 Pkw auf 1000 Einwohner, 14 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor und 14 Prozent mehr als im Bundesschnitt. Für Zehntausende im „Autoland Saarland“ ist das Kraftfahrzeug nun mal die berufliche Lebensmitte. Für Verzichts- und Umsteigeappelle sind sie immun. Das Auto – ein weiteres saarländisches Dilemma; es ist Job-Motor und Fitness-Bremse zugleich.

Fazit: Essen und Trinken im Saarland als Krebsrisiko

Der Lebensstil vieler Saarländer begünstigt offenbar bösartige Erkrankungen. Dies machen die amtlichen Daten über die allgemeinen Lebensumstände, Bewegungsmangel, Übergewicht, Alkohol- und Tabakkonsum deutlich. „Die Frage der Kausalität ist schwer zu beantworten“, sagt Bernd Hollezcek, der Chef des Krebsregisters Saar. „In der Regel ist es nicht ohne weiteres möglich, Einzelrisiken methodisch sicher zu identifizieren und zu quantifizieren. Die Abklärung dieser Häufungen hinsichtlich möglicher Ursachen erfordert in der Regel gezielte analytische Studien“. Das Krebsregister berichte nur, liefere aber keine Erklärungen.

Dennoch sind die überdurchschnittliche Krankheitsphänomene im Saarland ein deutliches Warnsignal, denn die Zusammenhänge zwischen Ernährung, Lebensstil und Gesundheit sind grundsätzlich wissenschaftlich nachgewiesen.    

Lesen Sie dazu den nächsten Teil des Saarlandinside-Gesundheitsreports über den Zusammenhang zwischen hohen Krebsraten und Umweltbelastungen im Saarland.

Abonnieren Sie hier den kostenlosen Saarlandinside-Newsletter.
So erhalten Sie die aktuellen Artikel sofort nach Erscheinen.