Seit vielen Jahren zahlen die Landtagsfraktionen von SPD und CDU einigen Mitgliedern Extra-Geld für „besondere Funktionen“. Es geht um etwa vier Millionen Euro in den letzten zwanzig Jahren. Dass das Bundesverfassungsgericht diese Praxis für verfassungswidrig erklärt hat, kümmert keinen.
Mehr als die Hälfte der Landtagsabgeordneten haben Sonderaufgaben in ihrer Fraktion. Sie sind Fraktionsvorsitzende, stellvertretende Fraktionsvorsitzende (SPD drei, CDU vier), Parlamentarische Geschäftsführer (jede Fraktion einer), leiten Ausschüsse (SPD sieben, CDU vier), fungieren als Obleute und fachpolitische Sprecher. Dafür beziehen sie Extra-Geld aus dem Landtagshaushalt und aus der Fraktionskasse. Im Einzelfall bis zu 40.000 Euro im Jahr.
Alle Aufgaben mit der Abgeordnetenentschädigung abgegolten
Solche Funktionszulagen sind verfassungswidrig, sagt das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil des aus dem Jahr 2000 für Thüringen. Sie verstoßen „gegen die Freiheit des Mandats und den Grundsatz der Gleichbehandlung der Abgeordneten“. Das höchste Gericht legt fest: Alle Aufgaben und Funktionen in einer Fraktion sind mit der normalen Abgeordnetenbezügen abgegolten. Zusatzzahlungen sind also nicht erlaubt.
Durch Extra-Zahlungen entstehen Abhängigkeiten
Das Gericht: Der einzelne Abgeordnete steht ohnehin in einem Spannungsverhältnis, wenn er sich bei Abstimmungen der Fraktionsdisziplin unterordnen muss. Diese Abhängigkeit von Fraktionsbeschlüssen ist hinzunehmen. Werden aber Funktionen im Parlament mit Extra-Zahlungen verbunden, so entstehen zusätzliche Abhängigkeiten, sagen die Karlsruher Richter. Dies dürfe nicht sein. Später, im Jahr 2007, wiederholten die Richter ihre Argumente:
Funktionszulagen [bergen] die Gefahr, dass Abgeordnete wirtschaftlich auf eine innerparlamentarische Ämterhierarchie angewiesen sind, die sie in verstärkte Abhängigkeit von ihrer Fraktions- und Parteiführung bringt, weil eine unabhängige und ohne Rücksicht auf eigene wirtschaftliche Vorteile getroffene Willensentscheidung mit dem Verlust besonders honorierter parlamentarischer Funktionen sanktioniert werden kann.
Bundesverfassungsgericht Urteil vom 4. Juli 2007 – 2 BvE 1/06
Auf Deutsch: Wer nicht nach der Parteilinie agiert, riskiert seine Bonus-Zahlung. Er wird erpressbar, kann nicht unabhängig arbeiten. Eine Ausnahme gilt für Fraktionsvorsitzende: Für diese sei die doppelte Aufwandsentschädigung wegen ihrer herausgehobenen Bedeutung in Ordnung.
Im gleichen Urteil hatte die höchstrichterliche Instanz klar gestellt, dass mit dem Thüringen-Urteil „allgemeine Maßstäbe“ aufgestellt seien und diese für alle Parlamente auf allen Ebenen gelten. Auch das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht definiert die juristische Reichweite seiner Entscheidungen.
Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.
§ 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz
Zwischen 20.000 und 40.000 Euro extra
SPD und CDU im Landtag nennen gegenüber Saarlandinside die Extra-Zahlungen:
● Die parlamentarische Geschäftsführer Martina Holzner (SPD) und Raphael Schäfer (CDU) bekommen auf die normale Abgeordneten-Entschädigung einen Zuschlag von 50 Prozent, das sind jeweils 40.000 Euro.
● Die drei stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD, Timo Ahr, Pascal Arweiler und Kira Braun, teilen sich eine volle Entschädigung, für jeden 26.400 Euro. Bei der CDU profitieren vier Abgeordnete als Fraktionsvize: Jutta Schmitt-Lang, Roland Theis, Anja Wagner-Scheid und Bernd Wegner (dessen Funktion ruht zurzeit), macht 20.000 Euro extra für jeden. Anderen Funktionsträgern werde nichts gezahlt, versichern die Fraktionen.
● Auch die Vorsitzenden der elf Landtagsausschüsse werden mit Extra-Zahlungen bedient, obwohl die Richter auch solche Zahlungen beanstandet haben. Gemäß Saarländischem Abgeordneten-Gesetz bekommt jeder der elf Ausschussvorsitzenden auf die Aufwandsentschädigung einen 30-Prozent-Bonus von zurzeit 5.600 im Jahr: Pascal Conigliaro, Sascha Haas, Sandra Quinten, Nadia Schindelhauer, Sebastian Schmitt, Damhat Sisamci, (alle SPD) und Petra Fretter, Jonas Reiter, Hermann-Josef Scharf, Alwin Theobald, Stefan Thielen (CDU). Über die letzten 20 Jahre wurde so der Steuerzahler aus dem Landeshaushalt direkt mit etwa einer Million Euro zur Kasse gebeten.
Der Landesrechnungshof kritisiert wie mehrere Landesverfassungsgerichte und andere Landesrechnungshöfe die Sonderzahlungen schon lange. Die Prüfer:
Funktionszulagen [dürfen] nur an den Landtagspräsidenten, an die stellvertretenden Landtagspräsidenten und an die Fraktionsvorsitzenden gezahlt werden.
Landtagspräsidentin: Alles auf saarländisch geregelt
Saarlandinside hat Landtagspräsidentin Heike Winzent (SPD) um Stellungnahme insbesondere zum Thema Verfassungswidrigkeit gebeten. Winzent findet an der Bonus-Praxis nichts Unredliches. Schließlich habe dies der Landtag „ausdrücklich im Fraktionsrechtstellungsgesetz geregelt“. Will sagen: Landesrecht steht für sie über der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Landtagspräsidentin weiter: „Eine abweichende verfassungsgerichtliche Entscheidung gibt es im Saarland nicht.“ Ihr Kalkül: Kein Bürger kann gegen den Missstand nach Karlsruhe gehen. Das können nur die Landtagsabgeordneten selbst. Tun sie aber nicht, sie sind ja selbst die Begünstigten.
Steuerzahlerbund: Es besteht Handlungsbedarf
Der Bund der Steuerzahler moniert seit Jahren die Praxis der Nebeneinkünfte auf Steuerzahlerkosten. Mehr als appellieren kann aber auch er nicht. Steuerzahler-Vorsitzender Christoph Walter:
Auch der Landesrechnungshof hatte bereits im Jahr 2013 diese Praxis beanstandet, ohne dass sich hieran bis dato etwas geändert hätte. Hier besteht Handlungsbedarf.
Der Vollständigkeit halber: Die AfD-Fraktion hält sich da sauber. Sie weist keine verbotenen Funktionszulagen aus. In einigen Bundesländern sind solche Zahlungen nicht unüblich. In Reinland-Pfalz zum Beispiel fallen diese aber bedeutend geringer aus.
Fazit: Die ungenierte Selbstbereicherung und die Erosion der Demokratie
Das Bundesverfassungsgericht lässt keinen Interpretationsspielraum zu. Die Bonus-Zahlungen im Saar-Landtag erfolgen (bis auf die Prämien an das Landtagspräsidium und die Fraktionsvorsitzenden) verfassungswidrig. SPD und CDU im Landtag ignorieren dies, ihre Fraktionsmitglieder kassieren weiter.
Mit dem Respekt vor der Verfassung hat man es im Saarland nicht so. Beispiel die Milliarden-Schulden wegen Corona vor zwei Jahren, von einem renommierten Staatsrechtler der Saar-Uni als verfassungswidrig beurteilt. Die Landesregierung kümmerte es nicht.
Ähnliches Spiel bei der jüngsten Milliarden-Schulden zur Sanierung der Infrastruktur („Transformation“). Bevor der Staatsrechtler seine Bewertung publik machen konnte, bekam er von seinem Dienstherrn, dem Finanz- und Wissenschaftsminister von Weizsäcker einen Maulkorb verpasst.
Und dann Abgeordnete, die ihre finanziellen Vorteile über die Verfassung stellen: Sie beschädigen die politische Kultur. Ihr Verhalten trägt zur Erosion der Demokratie und des Vertrauens in das Verfassungsorgan Landtag bei.