Sozialer Kahlschlag bringt Saarbahn ins Schleudern

Die Landeshauptstadt und die Saarbahn-Verantwortlichen sind drauf und dran, den öffentlichen Nahverkehr gegen die Wand zu fahren. Ursachen: Sozialdumping gegen Mitarbeiter und Missmanagement. Auch Stadtrat und Aufsichtsrat versagen.

Mobilitätsgarantie für die Bürger

Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) ist staatliche Daseinsfürsorge. Die Städte und Gemeinden haben die Alltagsmobilität ihrer Bürger zu garantieren, eine wachsende Aufgabe, vor allem in einer alternden Gesellschaft. Das kostet: In Saarbrücken zahlen nicht nur die Fahrgäste dafür, sondern auch die Strom- und Gaskunden; die Stadtwerke decken mit ihren Gewinnen das Defizit von jährlich 15 Millionen Euro aus dem Betrieb der Saarbahn mit 128 Bussen und 28 Zügen. Dabei findet seit Jahren eine schleichende Demontage des Leistungsangebots statt. Interne Querelen, kranke Busfahrer, Kündigungen und Busfahreraufstand demolieren das Image des ÖPNV.

Schreckgespenst Privatisierung

Chaos und Fahrermangel kommen nicht von ungefähr. Die Ursachen liegen Jahre zurück. Die Europäische Union öffnet ab 2008 den europäischen Binnenmarkt für Unternehmen und Arbeitskräfte. Seither können private Unternehmen auch in den kommunalen ÖPNV einsteigen. Die Rahmenbedingungen für den Einstieg von privaten Verkehrsunternehmen in den kommunalen ÖPNV wurden neu definiert:  Sie müssen „eigenwirtschaftlich“ fahren, ohne öffentliche Zuschüsse. Die Branche ist anfangs aufgeschreckt. Sie sieht eine Gefahr für die reichlich mit öffentlichen Mitteln gestützten und nicht gerade auf Effizienz getrimmten Kommunalbetriebe. Diese können den ÖPNV aber in der sogenannten „Direktvergabe“ behalten. Bedingungen u.a.: Wettbewerbsverbot und Zurückfahren der öffentlichen Zuschüsse.

Beispielloser Sozialabbau

In der Nahverkehrsbranche folgt ab 2010 ein beispielloser Sozialabbau. Gehälter werden gesenkt, Sozialleistungen gestrichen. Heute verdienen Busfahrer im Schnitt 500 Euro weniger und müssen noch zwei Stunden täglich mehr arbeiten, ohne Lohnausgleich, bei Privaten sogar bis zu 15 Stunden bei geteilten Diensten. Der Achtstundentag, von den Gewerkschaften vor hundert Jahren erkämpft, wird Makulatur. Die Gewerkschaften und die Betriebsräte sind unfähig zur Gegenwehr gegen den Kommunalen Arbeitgeberverband. Dort sitzt die Saarbahn-Aufsichtsratsvorsitzende Oberbürgermeisterin Charlotte Britz im Vorstand. Christian Umlauf, der ÖPNV-Experte bei Verdi, im Nachhinein: „Auch wir haben uns durch das Privatisierungs-Gespenst ins Bockshorn jagen lassen.“

Privatisierungskeule auf 320 Busfahrer

Den 320 Bus- und Bahnfahrern der Saarbahn schlagen Privatisierungskeule und Lohnkürzungen auf Leistungswillen, Motivation und Gesundheit. Zeitweise fallen 20 Prozent aus. Heilloses Durcheinander herrscht bei den Einsatz- und Fahrplänen. Entnervte Saarbahn-Zugführer wandern zu besser zahlenden Unternehmen ab. Die Deutsche Bahn wirbt Zugführer mit einem Kopfgeld von einigen Tausend Euro ab. Fahrernachwuchs fehlt, weil keiner ausgebildet wird. Buslinien fallen aus. Selbst 66 neu eingestellte Bus- und Saarbahnfahrer können die Lücken nicht schließen. Und ab Oktober ist der Saarbahnverkehr im Ausnahmezustand: Notfahrplan.

Immenser Leistungs- und Serviceabbau

Wegen Personalmangels fahren Busse und Bahnen heute mit scharfen Einschnitten auf 16 von 42 Linien. Zehn Prozent der Gesamtfahrleistung fallen flach, aufs Jahr gerechnet 800.000 Bus-Kilometer, haben Insider gerechnet. Das ist 20 Mal die Strecke um den Globus. Ein immenser Leistungs- und Serviceabbau, eine verdeckte Fahrpreiserhöhung. Die Saarbahn erklärt die Misere mit einem Mangel an Busfahrern und einem Krankenstand von zeitweise 20 Prozent, auch dies landesweit einmalig.

Druck mit „Plan B“: Weitere Privatisierung

Zurück ins Jahr 2017, als in der Landeshauptstadt die EU-konforme Ausschreibung des öffentlichen Verkehrs von 2019 bis 2029 ansteht. Die Diskussion beginnt: Muss die Saarbahn tatsächlich private Konkurrenz fürchten, obwohl diese sicherlich keine ÖPNV-Infrastruktur mit 15 Millionen Defizit angehen wird?  Die Saarbahn-Geschäftsführung arbeitet also zunächst an der Direktvergabe, dem „Plan A“. Große Bedeutung aber legt Geschäftsführer Peter Edlinger auf seinen „Plan B“, ein Angebot auf privatwirtschaftlicher Basis, d.h. ohne Zuschüsse. Für dieses Privatgeschäft ist eigens die Saarbus-GmbH gegründet worden, eine Tochter der Saarbahn-GmbH und der Busunternehmer Baron, Harz und Fischer. Mit der Vergabe an Saarbus droht die weitere Absenkung der Fahrer-Löhne auf das Niveau des privaten Verkehrsgewerbes.

Interner Widerstand: Privatisierungspläne sozial nicht vertretbar

Gegen Edlingers Plan B mobilisiert sich bereits im Herbst Widerstand. Es mehren sich die Stimmen gegen weitere Einschnitte. Begründung: Für ein eigenwirtschaftliches Angebot eines Privatunternehmens „gibt es für einen großstädtischen ÖPNV, wie wir ihn in Saarbrücken haben, deutschlandweit kein einziges Beispiel,“ steht in einer Vorlage an den Saarbahn-Aufsichtsrat vom September 2017. Edlingers Co-Geschäftsführer Andreas Winter legt dem Aufsichtsrat als Alternative einen Betriebsoptimierungsplan vor mit Synergien von etwa 4 Millionen Euro mit höherer Wirtschaftlichkeit und mehr Sicherheit für Fahrgäste, dafür ohne weitere Belastung der Mitarbeiter. Eine Million Euro davon könne in ein verdichtetes Liniennetz, Sammeltaxis und umweltfreundliche Elektrobusse reinvestiert werden, so das Konzept. Aber Ober sticht Unter: Edlinger, gleichzeitig auch Geschäftsführer der Muttergesellschaft Stadtwerke, blockt Winters Initiative ab. Er will die Kosten drücken – um jeden Preis.

Fazit: Es ist Aufgabe der Stadt und des Saarbahn-Managements, für die Saarbrücker Bürger einen attraktiven und zuverlässigen öffentlichen Nahverkehr zu organisieren. Das geht zurzeit gründlich schief. Auch weil seit Jahren die Saarbahn-Mitarbeiter mit Gehaltskürzungen und Mehrarbeit zermürbt werden. Und Edlinger ist immer noch dabei, die Kosten zu drücken. Verantwortung dafür tragen das SPD-geführte Rathaus, das rot-rot-grüne Bündnis im Stadtrat und der Aufsichtsrat mit seiner Vorsitzenden, Oberbürgermeisterin Charlotte Britz.

Kommunalbetriebe sind Spielwiesen kommunalpolitischer Klüngelwirtschaft. Verbesserung der Effizienz und des Angebots für die Fahrgäste in Bus und Bahn haben nicht erste Priorität. Und die Geschäftsführer arbeiten auf die Verlängerung ihrer mit 250.000 Euro dotierten Verträge hin. Die Krise im Saarbrücker ÖPNV ist hausgemacht. Leistungswillige und zufriedene Mitarbeiter einzusetzen – das ist Chefsache. Wer das nicht hinbekommt, muss sich Missmanagement vorwerfen lassen. (Fortsetzung folgt)