Eine kleine Sittengeschichte der Kommunalpolitik (I): Die St. Ingberter Christdemokraten wollen den parteilosen Oberbürgermeister Hans Wagner bis zur Wiederwahl 2019 lahm schießen. Mit Begleitfeuer der Landespolitik. Zum Schaden der Stadt und der demokratischen Kultur.
Der Streit beginnt mit einer Lappalie. 2009 macht CDU-OB-Jung bei einem Kettensägelehrgang am Glashütter Weiher, im Überschwang der erlernten Sägetechnik, Kahlschlag in einem Birkenwäldchen. Bürgerprotest gegen den „Waldfrevel“. Ortsvorsteher Wagner soll Jung helfen und lügen, die Bäume seien faul gewesen. Wagner tat’s nicht. Zwei Jahre danach löst Wagner auch Jung als OB ab. Foto Stadt St. Ingbert/ Michael Haßdenteufel
Es geht um Machtgier in der Provinz. Es geht um Unwahrheiten und Verleumdungen, Blockaden im Stadtrat, ministerielle Drohungen und finanziellen Schaden für St. Ingbert. Was bei der Treibjagd der Mehrheitskoalition gegen Stadtverwaltung und Oberbürgermeister über die Jahre auffällt, sind Starrsinn und Missgunst der Akteure, Zwietracht und „die Unfähigkeit, in der Sache zu streiten und nach der Sitzung mit den Kontrahenten ein Bier trinken zu können,“ bedauert ein langjähriger Stadtrat. Der undemokratische Geist in St. Ingbert verleidet den Bürgern zusehends das Interesse an der guten Entwicklung ihrer Stadt.
Das Signal zur Hatz mit der Ministerpräsidentin
Das laute Signal zur Hatz bläst die Saarbrücker Zeitung im Frühjahr 2014 zur Eröffnung des Kommunalwahlkampfs mit einem fünfspaltigen Artikel: „CDU startet Wahlkampagne mit Kampfansage an Hans Wagner“, wohl wissend, dass nur die Stadt- und Ortsräte und nicht der OB zur Wahl standen. Die Lage der CDU: Die Partei-Größen haben eine tiefsitzende Schmach und ihren politischen Tiefpunkt aufzuarbeiten. Ihr Oberbürgermeister Georg Jung hat zwei Jahre zuvor dem Kandidaten der Familien-Partei, Hans Wagner, Platz machen müssen. Jung hat wegen seines selbstherrlichen Führungsstils und zwielichtiger Finanz-Entscheidungen das Ansehen der CDU ramponiert. Diese zerreibt sich in internen Grabenkämpfen und ist gespalten. Angespornt vom Kampfauftrag ihrer Landesvorsitzenden macht sich die CDU an die Arbeit.
Den Eindruck erweckt, es ginge um die Oberbürgermeisterwahl: Auftakt der CDU zum letzten Kommunalwahlkampf, als persönliche Attacke gegen Hans Wagner. Foto: Ausriss Saarbrücker Zeitung
Millionen-Verlust durch Ausstieg aus dem EVS
Der Ausstieg aus dem Entsorgungsverband Saar (EVS) − jahrelange hat der EVS-Kritikaster Adam Schmitt von den Grünen auf die Gelegenheit gewartet. Die CDU kauft ihn damit in die Koalition ein. Entgegen aller Warnungen des Gutachters wegen ungewisser Gebührenentwicklung und finanzieller Risiken beschließen die Mehrheitskoalitionäre den Ausstieg. Was die Macht-Taktiker von CDU, Grünen und Familienpartei nicht bedenken: Mit dem Ausstieg aus dem kommunalen Zweckverband kommen Rückforderungen des EVS (883.000 Euro Investitionszuschuss zum Wertstoffhof, ausstehende Eigenkapital-Forderungen zwischen 200.000 und 300.000 Euro) und neue Kosten für die Bürger (81.500 Euro für Bauschuttlieferungen an den EVS, 360.000 Euro Personalkosten, 170.000 Euro für den Austritt und dessen Vorbereitung). Der Vorsitzende der Unabhängigen im Stadtrat, Wolfgang Weisgerber, hat bereits vor einem Jahr einen Gesamtschaden von 1,5 Millionen Euro durch den EVS-Ausstieg errechnet. Adam Schmitt widerspricht dem; die Wirtschaftsprüfung werde dies bestätigen.
Die CDU setzt damit ihre Anti-Wagner-Politik seit dessen Amtsantritt fort. Im Kleinen und im Großen, immer mit System.
● Die Bläse-Stiftungen der Stadt (Kapital 4,9 Millionen Euro) sind wichtiger Geldgeber für soziale Projekte; zurzeit baut Wagner, als Oberbürgermeister geborener Stiftungsvorstand, einen Seniorenstift. Mit dem Auszug Jungs 2012 aus dem Rathaus verschwinden die Stiftungsunterlagen. Bei der Stiftungsaufsicht im Innenministerium trifft Wagner auf Christof Hoffmann. CDU-Mann Hoffmann verweigert Kopien, Wagner möge die Unterlagen abschreiben. Noch kleinkarierte Schikane. Wagner soll Hoffman aber später wiedertreffen, als Direktor der ihn drangsalierenden Kommunalaufsicht.
● Weiteres Beispiel, die Blockade im „Verein für kulturelle und soziale Belange St. Ingbert“. Es dauerte drei Jahre, bis OB Wagner die Bankvollmacht per Gerichtsbeschluss bekommt. Dem Verein mit 500.000 Euro aus Spenden lokaler Unternehmen droht der Verlust der Gemeinnützigkeit.
Zu den Prozessen kommt das Aufarbeiten von Altlasten aus der Zeit von Jung. „Wagner war in wesentlichen Bereichen jahrelang nicht handlungsfähig“, sieht es ein langjähriger Beobachter der St. Ingberter Kommunalpolitik, Christoph Walter aus Rohrbach, Vorstandsvorsitzender des Bundes der Steuerzahler Saarland.
Kein Geschäftsbereich für Beigeordnete
Nach der Kommunalwahl 2014 koaliert die CDU mit Grünen und Familienpartei. Der von zunehmenden Feindseligkeiten bedrängte OB will sich nicht auch noch von Beigeordneten mit eigenem Geschäftsbereich und Zugriff auf die Verwaltung das Leben schwerer machen lassen und teilt ihnen deshalb keinen Geschäftsbereich zu. Den verärgerten Beigeordneten geht so ein Zubrot von 9.000 Euro Aufwandsentschädigung im Jahr verloren.
Millionen-Schaden durch die Mehrheitskoalition
Und die neue schwarz-grün-orangene Mehrheitskoalition blockiert weiter. In der Zusammenschau der Ereignisse der letzten Jahre wird das systematische Hintertreiben deutlich. Der in St. Ingbert beliebte Wagner, so scheint es, soll wohl vor seiner Wiederwahl 2019 keine wesentlichen Projekte hinbekommen.
● Projekt Ladestation für E-Autos im SAP-Parkhaus: Das Top-Unternehmen SAP stellte – ganz im Sinne der Biosphärenstadt St. Ingbert – ihren Fuhrpark auf E-Autos um, mit öffentlichem Zugang, gegen 40.000 Euro Kostenbeteiligung der Stadt. Die CDU-geführte Koalition lehnt ab, die Grünen entgegen ihrem Markenkern ökologische Mobilität. Die Grünen sagen, die Stadtwerke hätten später das Projekt mit SAP realisiert.
● Neubau des Feuerwehrgerätehauses Rohrbach im städtischen Haushalt 2015/16 mit 2,4 Millionen Euro bei 1,4 Millionen Euro Zuschuss. Die Stadtratsmehrheit fordert immer neue Standorte, stimmt dann doch dem Vorschlag der Verwaltung zu. Nach zwei Jahren Verzögerung gibt es aber neue Förderrichtlinien und nur noch 900.000 Euro Zuschuss. Schaden für die Stadt: 450.000 Euro.
● Im selben Haushaltsjahr blockiert die CDU-Mehrheit die energetische Sanierung des Sportheims des SV Rohrbach (100.000 €), den Bau eines Kindergarten-Häuschens (20.000 Euro) und halbiert das Begrüßungsgeld für den Nachwuchs junger Familien von 200 auf 100 Euro – und dies mithilfe der Familienpartei, die junge Familien eigentlich fördern will. Finanzieller Schaden für Vereine und Familien.
● Sanierung und Wiederbelebung des Ratskeller-Restaurants, einst vielbesuchter Après-Kulturtreff. Glücksfall für die Stadt: Ein Püttlinger Gastronom will 250.000 Euro investieren. Die Stadtratsmehrheit lehnte die Sanierung ab, Arbeiten in Kindergärten seien wichtiger. Ein Baufachmann der Stadtverwaltung: „Ratskeller und Kindergärten hätten beide problemlos finanziert werden können“. Zwei Jahre später hat der Stadtrat die 200.000 Euro doch noch genehmigt. Nur: Der Investor ist inzwischen abgesprungen. Schaden für die Stadt: 250.000 Euro.
● Bei der Nutzung einer 50 Ar großen Teilfläche des Sehn-Geländes zwischen Bahntrasse und Wald, weitab von nennenswerter Wohnbebauung, drangsaliert die CDU die Stadtverwaltung. Der Innenminister hat hier Gewerbefläche festgelegt. Die CDU will aber ein Lebensmittelgeschäft ansiedeln, so ihre Stellungnahme gegenüber Saarlandinside obwohl die Landesplanung dies mehrfach als aussichtslos zurückgewiesen hat. „Dies würde auch dem Nahversorgungskonzept widersprechen: Supermärkte sollen in Wohngebieten liegen und fußläufig vor allem für ältere Menschen erreichbar sein“, so ein Planungsfachmann. Hintergrund: Beim Verkauf an eine Einzelhandelskette könnten die Investoren etwa eine halbe Million Euro mehr erzielen.
Ordnungsgeld wegen Diffamierung
Michael Trittelvitz, Fraktionsvorsitzender der Unabhängigen, klagt, „dem OB werden seit seiner Wahl von der erweiterten Mehrheitskoalition Steine in den Weg gelegt, bis hin zu Verleumdungen“. Beispiel die Diffamierung durch Dominik Schmoll, Fraktionsvorsitzender der SPD-Abspaltung „Wir-für-St. Ingbert“. Das Gericht verhängt 5.000 Euro Ordnungsgeld: „Dem Beklagten [Schmoll] geht es zur Überzeugung des Gerichts nicht mehr um die Sache, … sondern es steht die Diffamierung des Klägers [Oberbürgermeister Hans Wagner] im Vordergrund.“
Die Moral von der Geschicht: Öffentlicher Auftritt von Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer Anfang Oktober bei der Jungen Union: „Das ist es, was uns von den Sozialdemokraten unterscheidet: Wenn wir sagen, zuerst das Land und dann die Partei, dann meinen wir das so. Die Sozialdemokraten fühlen sich nur wohl, wenn sie zuerst an die Partei und zuerst an sich selbst denken.“ Aus solcherlei moralischer Erniedrigung ziehen Parteigänger bisweilen ihre Motivation. In St. Ingbert haben die Lokalpolitiker die Aggressionen der CDU-Landesspitze gegen Hans Wagner bereitwillig auf- und ernstgenommen. Sie klangen am April-Abend 2014 fast wie die Kampfansage der AfD am Abend der letzten Bundestagswahl: „Wir werden sie jagen.“
Wenn es um die Macht geht, verraten Parteien schon mal ihre Überzeugungen. So die Grünen bei der Ablehnung der Ladestation für E-Autos und die Familienpartei beim Begrüßungsgeld für junge Familien. Selbstverleugnung und Starrsinn zeigen, wie tief die Schützengräben in St. Ingbert inzwischen gezogen sind. Auch um den Preis eines erheblichen finanziellen Schadens für St. Ingbert. Opportunisten haben die kommunalpolitische Kultur und die Wertmaßstäbe auf dem Tiefpunkt gebracht.