Wie die Kirchen jedes Jahr knapp eine Million Euro aus der Landeskasse abkassieren

Die Hohe Domkirche St. Peter  ist die älteste Bischofskirche Deutschlands und die Mutterkirche des Bistums Trier. Bild: H. Rieder
Unser Bundesland ist arm, die saarländischen Steuerzahler finanzieren trotzdem unter anderem mit rund 490.000 Euro den Trierer Bischof. Grund sind 200 Jahre alte Verträge, die man angeblich nicht einfach kündigen kann.

Kirchensteuer zahlen? Lieber nicht! Diese Entscheidung haben in den vergangenen 20 Jahren viele Saarländerinnen und Saarländer getroffen. Den Kirchen laufen die Mitglieder weg. Der Staat hält den Kirchen dagegen die Treue. Alleine das Saarland zahlt ihnen jedes Jahr knapp eine Million Euro. Damit ist nicht das Geld gemeint, das als Zuschuss für soziale Einrichtungen wie Kindergärten, Krankenhäuser oder Altenheime fließt. Die Summe hat auch nichts mit Kirchensteuern zu tun. Das Land zahlt sogenannte Staatsleistungen wegen teilweise jahrhundertealter Verträge mit den Kirchen. 663.385 Euro hat im vergangenen Jahr die katholische Kirche auf diesem Weg aus der saarländischen Landeskasse bekommen, teilt das für die Zahlungen zuständige Bildungs- und Kulturministerium auf Anfrage mit. An die alt-katholische Kirche wurden 70.500 Euro gezahlt, an die evangelische Kirche 34.628 Euro, an die evangelisch-lutherische Kirche 111.800 Euro. Ohne eine Gegenleistung.

Grundlage ist das Konkordat von 1801

Die Staatsleistungen „beruhen im Saarland aufgrund der wechselvollen Geschichte auf unterschiedlichen Rechtsgründen“, erklärt Fabian Bosse, der stellvertretende Pressesprecher des Bildungs- und Kulturministeriums. „Teilweise handelt es sich um napoleonische Staatsgehälter, die heute noch aufgrund des Konkordats und alter preußischer Gesetze weitergewährt werden“, sagt er. Das genannte Konkordat wurde 1801 abgeschlossen.

Außerdem gebe es „Dotationen, die aufgrund alter Verpflichtungen, die erst 1926 von der Regierungskommission des Saargebietes festgeschrieben wurden, gezahlt werden“, erläutert Bosse. Aufgrund mehrerer „Allerhöchster Ordre“, die in den Jahren 1833 bis 1857 erlassen wurden, werden weitere Dotationszuschüsse an elf Kirchengemeinden gezahlt. „Die Verpflichtung des Landes, einen Beitrag zur Versorgung der katholischen Emeriti zu leisten, geht auf das bayerische Konkordat von 1817 zurück und wird seitdem weitergeführt. Die Dotationen zum Unterhalt des Bischöflichen Stuhls gehen auf preußische Dotationsverpflichtungen bis 1919 sowie das Preußenkonkordat von 1929 zurück, wobei das Preußenkonkordat selbst im Saarland keine Rechtswirksamkeit erhielt“, heißt es in der Stellungnahme des Bildungs- und Kulturministeriums weiter. Das Land zahlt also aufgrund von Vereinbarungen, die mehr als 200 Jahre alt sind, Geld für Geistliche im Ruhestand.

Entschädigung für Enteignung Anfang des 19. Jahrhunderts

Die Verträge zwischen den Kirchen und den Ländern waren die Folge der Säkularisierung, also der Enteignung der Kirchen am Anfang des 19. Jahrhunderts. Damals wurden Gebäude und Ländereien der Kirche den weltlichen Landesherren übertragen. Das lassen sich die Kirchen bis heute bezahlen. Auch die, die damals gar nicht dabei waren. Die alt-katholische und die evangelisch-lutherische Kirche kommen nämlich in diesen uralten Verträgen nicht vor, bekommen allerdings „aus Paritätsgesichtspunkten“ Geld, wie es im Ministerium heißt. „Der Paritätsgrundsatz“, sei ein „im Staatskirchenrecht entwickeltes Gleichbehandlungsgebot der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften“.

Während die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, egal, ob sie einer Religionsgemeinschaft angehören oder nicht, verlässlich zur Finanzierung beitragen müssen, verlassen immer mehr Menschen die Kirchen. Vor 20 Jahren waren noch 66,6 Prozent, also ein Drittel der Saarländerinnen und Saarländer Mitglied der katholischen Kirche. 2020 waren es nach Angabe der Bistümer nur noch 54,6 Prozent. Nachdem es innerhalb der vergangenen zwei Jahre nicht zuletzt wegen immer neuer Meldungen zu Missbrauch in der Kirche zu Austrittswellen gekommen war, dürfte höchstens noch jeder Zweite im Saarland Katholik sein. In der evangelischen Kirche waren 2002 knapp 20 Prozent der Saarländerinnen und Saarländer Mitglied. Zurzeit sind es rund 16 Prozent.

Kirchenfinanzierung durch den Staat, das fanden Politikerinnen und Politiker schon in der Weimarer Republik offenbar nicht mehr zeitgemäß. Deshalb schrieben sie in die Verfassung, dass die Staatsleistungen durch die Landesgesetzgebung „abgelöst“ werden sollten. Die Weimarer Republik wurde zerstört, bevor sie das Vorhaben umsetzen konnte. Aber die Sache mit dem „Ablösen“ der Staatsleistungen schaffte es auch ins Grundgesetz der Bundesrepublik. Und da stand es nun. Die von SPD, Grünen und FDP gebildete Bundesregierung will nun einen Vorstoß wagen. Der Bundestag kann allerdings lediglich ein Gesetz erlassen, auf dessen Grundlage die Länder dann mit den Kirchen verhandeln sollen.

Kirchen bieten Ablösung der Uralt-Verträge an

Die Staatsleistungen an die Kirchen einfach abzuschaffen, also die Uralt-Verträge zu kündigen, ist für die Politik keine Option. Das gehe rechtlich nicht, heißt es. „Ablösen“ könnte demnach heißen: Die Kirchen bekommen auf einen Schlag viel Geld von den Ländern und verzichten im Gegenzug auf jährliche Zahlungen. Entsprechend entspannt reagieren Kirchenvertreterinnen und -vertreter

Kirchenrat Jens Peter Iven, Leiter der Stabsstelle Kommunikation und Medien im Landeskirchenamt Düsseldorf, teilt aus Saarland-Inside-Anfrage mit: „Die Ablösung der Staatsleistungen ist eine Aufgabe, die der Politik gestellt ist. Die evangelische Kirche im Rheinland, deren Gebiet auch weite Teile des Saarlands umfasst, ist offen für Verhandlungen über diese Ablösung. Das haben wir schon vor Jahren deutlich gemacht. Maßstab für eine grundgesetzkonforme Ablösung muss dabei das Äquivalenzprinzip sein. Ebenfalls muss klar definiert sein, welche Staatsleistungen abgelöst werden.“ Äquivalenzprinzip bedeutet, dass die Kirche davon ausgeht, dass der Deal mit dem Staat nicht zu ihren Lasten läuft, sie also unterm Strich nicht weniger Geld bekommt.

Auch im Bistum Trier ist von „erheblichen Kostenverpflichtungen“ des Staates die Rede. Judith Rupp, die Sprecherin des Bistums teilt mit: „Schon heute treffen die Kirchen und einzelne Bundesländer immer wieder Absprachen über Änderungen und Ablösungen einzelner Staatsleistungen. Die Verfassung geht von einer Ablösung der Staatsleistungen aus. Allerdings hat es bislang, nicht zuletzt wegen der damit verbundenen sehr erheblichen Kostenverpflichtungen, keine diesbezügliche Initiative des Bundes gegeben, der die Grundsätze für eine Ablösung aufzustellen hat. Die Kirche wird sich einer weitergehenden Lösung nicht verschließen, wenn und soweit diese ausgewogen ist. Die Entscheidung liegt bei den einzelnen Bistümern.“

Das Bistum Trier hat besonders viele Pfründe zu verteidigen. 492.630,90 Euro gingen im vergangenen Jahr alleine an den sogenannten Bischöflichen Stuhl nach Trier. 623.504,31 der 663.385,09 gingen an die Diözese Trier. Die Diözese Speyer, zu der der Saar-Pfalz-Kreis gehört, bekam lediglich 39.880,78 Euro. Deren Sprecher Markus Herr teilt Saarland Inside mit: „Das Bistum Speyer befürwortet eine Ablösung der Staatsleistungen und sieht die Politik am Zug, ihre Vorstellungen zu den Modalitäten einer Ablösung konkret darzulegen.“

Und was tut die saarländische Landesregierung? „Solange der Bund den angekündigten fairen Rahmen für ein Grundsätzegesetz zur Ablösung von Staatsleistungen noch nicht geschaffen hat, ist eine Bewertung dieser Option nicht möglich. Letztlich müssten die Interessen von Land und Kirchen zu einem fairen Ausgleich gebracht werden“, teilt die Staatskanzlei auf Anfrage mit. Und das Ministerium für Bildung und Kultur schreibt: „Die Landesregierung hat schon mehrfach deutlich gemacht, dass sie einer einvernehmlichen Ablösung der Staatsleistungen offen gegenübersteht. Die Bundesländer können hier nicht einseitig tätig werden. Hier warten wir das Grundsätzegesetz des Bundes ab.“ Erstmal abwarten also, während die Kirchen weiter kassieren.