Wie die Landesregierung die Kommunen bluten lässt

Das Land saniert sich auf Kosten der Kommunen, als Gegenleistung dürfen diese Milliarden-Schulden machen. Die Studie eines Saarbrücker Rechtswissenschaftlers und der Bertelsmann-Finanzreport bestätigen den Verdacht. Analyse.

Die Saar-Kommunen sind die größten Schuldenbuckel der Republik. Für Prof. Dr. Christoph Gröpl, Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht, deutsches und europäisches Finanz- und Steuerrecht an der Saar-Uni, war das Thema der ungebremsten Kommunalverschuldung schon vor Jahren eine Studie wert. Gröpl und zwei weitere Wissenschaftler für öffentliche Finanzwirtschaft vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim (ZEW) untersuchten 2010 in einer empirischen Studie in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und dem Saarland, „…wie es zu solch einer exzessiven Inanspruchnahme von Kassenkrediten … kommen konnte, die nicht mit den landesrechtlichen Vorgaben …kompatibel ist.“

Die Gröpl-Studie hat sieben Jahre später nichts an Aktualität eingebüßt. Zusammenbetrachtet mit den Auswertungen der BertelsmannStiftung im „Kommunalen Finanzreport 2017“ werden Ursachen und Hintergründe des Schulden-Fiaskos auch im Saarland offensichtlich. Gröpl nennt im Wesentlichen vier Gründe:

  • geringe Schlüsselzuweisungen,
  • zu hohe Landesschulden,
  • fehlende Kontrolle durch die Kommunalaufsicht und
  • Sozialkosten.

Landeshaushalt auf Kosten der Kommunen saniert
Zu geringe Schlüsselzuweisungen: Diese Aussage wird auch von aktuellen Bertelsmann-Studie gestützt, die für die Saar-Kommunen eine dramatische Unterfinanzierung durch das Land feststellt. Das Saarland steht seit 2010 unter der Zwangsauflage der Föderalismusreform. Seitdem hat das Land ein „strukturelles Defizit“ von 1,25 Milliarden Euro, heißt: zu viel Personal, zu viele unnötige Ausgaben, wenig effiziente Förderprogramme. Dieses Defizit ist bis 2019 auf null zu reduzieren, eine Bedingung für weiterfließende Bundeshilfen ab 2020. Der Abbau des Defizits hätte einschneidende Maßnahmen erfordert, eine valide Aufgaben- und Effizienzüberprüfung bei den 24.000 Staatsbediensteten: Fehlanzeige, der Stellenabbau um zehn Prozent: ist gestoppt. Echte Strukturreformen will keiner. Von Qualitätsmanagement ganz zu schweigen.

Die Milliarde für die Schuldenbremse des Landes musste also sonst wo herkommen. Das strukturelle Defizit finanzierte das Land zum großen Teil durch Minderausgaben an Dritte, vor allem an die Kommunen. Die Industrie- und Handelskammer hat schon vor Jahren die Unterfinanzierung der Kommunen kritisiert. Kurz: Das Land hat sich auf Kosten der Kommunen saniert.

Vom Land 465 Millionen Euro weniger als der Bundesdurchschnitt
Dies lässt sich mit Zahlen belegen. Tatsächlich erhalten die Kommunen vom Land an allgemeinen und zweckgebundenen Zuweisungen vergleichsweise wenig, pro Einwohner und Jahr 465 Euro weniger als der Durchschnitt der Flächenländer. Bekämen die Saar-Kommunen Zuweisungen auf dem Niveau des Bundesdurchschnitts, hätten sie insgesamt eine halbe Milliarde mehr. (siehe Grafik). Bürgermeister und Räte würden sich schon über die Hälfte der Differenz zum Bundesdurchschnitt freuen, sie könnten dann ihre Haushalte aus eigener Kraft sanieren.

Die Addition der allgemeinen (links) und der zweckgebundenen Zuweisungen (rechts) an die Kommunen ergibt für das Saarland 1.117 Euro pro Einwohner. Der Durchschnittswert für alle Flächenländer beträgt 1.682 Euro. Differenz: 465 Euro pro Einwohner.
Bei den Sozialausgaben liegt das Saarland im Bundesvergleich recht günstig. Auch der Zuwachs im letzten Jahr war unterdurchschnittlich.

Devise: Maul halten und Schulden machen!
Hohe Landesschulden – ausufernde Kassenkredite: Gröpl sieht in seiner Länderuntersuchung eine „hoch signifikante“ Korrelation zwischen Landesschulden und Kassenkrediten der Gemeinden. Je höher die Landesschulden, desto höher die Kassenkredite. Den Zusammenhang erklärt er so: Das Land saniert sich auf Kosten der Kommunen, da könne es schlecht gegen das hemmungslose Verschulden der Gemeinden mit Kassenkrediten vorgehen. Das Nichteinschreiten sei ein „Ventil, …die Kommunen davon abzuhalten, gerichtlich gegen die Unterfinanzierung durch das Land vorzugehen.“

Die Kommunalaufsicht hat den Rechtsvollzug eingestellt
Aufhebung der Genehmigungsbedürftigkeit von Kommunal-Krediten: Zur Kernkompetenz der Kommunalaufsicht gehört die Kontrolle der kommunalen Finanzen. In fast allen Bundesländern sind deshalb Kreditaufnahmen begrenzt; ab einer gewissen Größe, häufig bei einem Sechstel der laufenden Einnahmen, muss die Kommunalaufsicht den Kredit genehmigen. Gröpls Feststellungen: In den Ländern, die eine solche Genehmigungspflicht nicht im Kommunalrecht fixiert oder wie im Saarland sogar abgeschafft haben, machen die Kommunen die höchsten Dispo-Schulden. So kommt es, dass die Landeshauptstadt und ihr Stadtrat inzwischen 784 Millionen Dispo-Schulden und 332 Millionen Investitionsschulden aufhäufen durften. Es ist kein Geheimnis, dass die Kommunalaufsicht den Haushalt schon seit Jahren nicht mehr genehmigt. Im ganzen Land hat die Landesregierung den effektiven Rechtsvollzug einfach eingestellt.

Der Tauschhandel der Großen Koalition
Aber die Kommunalaufsicht untersteht Innenminister Bouillon und der sorgt im groß-koalitionären Tauschhandel dafür, dass Saarbrücken seinen Haushalt genehmigt bekommt. Mehr noch: Sie darf  zu dem noch ein Fußballstadion für (bis jetzt) 28 Millionen Euro bauen, die Deutschland-Rallye in die City holen und Millionen für Feste und Werbeaktionen (zuletzt Plakatwerbung für eine alltägliche Selbstverständlichkeit „Wir sorgen für sichere Schulwege“) verpulvern. Ein Stadion auf Steuerzahler-Kosten für einen zurzeit viertklassigen Profi-Verein? Darf die politische Kumpanei von Land und Hauptstadt – vor dem Hintergrund der dramatischen Überschuldung bei Land und Kommunen – den Ludwigspark zu einem vordringlichen Projekt der Bürger erheben?

Die Mär von den hohen Sozialausgaben der Kommunen
Hohe Transferzahlungen im Sozialbereich: Für die Kommunen und Kreise bisher das Generalargument für die ungebremste Konto-Überziehung. Im Ländervergleich liegt das Saarland bei den kommunalen Sozialleistungen hinter Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Diese haben pro Einwohner eine deutlich höhere Soziallast als die Saarländer. Auch im innersaarländischen Vergleich ist nicht erkennbar, dass die Kommunen sich ausgerechnet für Sozialleistungen so exzessiv verschulden müssten.

Weiskirchen 3.749 Euro Dispo pro Einwohner. Daneben Losheim: null.
Dies zeigt ein Vergleich der Sozialprofile der schuldenfreien kommunen St. Ingbert, Saarwellingen, Losheim mit den drei höchstverschuldeten Gemeinden Gersheim, Weiskirchen und Quierschied: in puncto Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe keine so großen Unterschiede, die erklären könnten, warum Gersheim mit knapp 5.000 Euro pro Bürger das Konto überzogen hat, Losheim und Saarwellingen hingegen ohne Schulden auskommen. Dass die Sozialkosten die Gemeinden und Kreise nicht (mehr) so stark belasten, bestätigt Regionalverbandspräsident Peter Gillo dadurch, dass er in diesem Jahr die Regionalverbandsumlage um 14 Millionen Euro gesenkt hat. Begründung: Die Sozialkosten waren zu hoch angesetzt.

Kostentreiber Kreisverwaltungen
Der dickste Brocken im Kommunalhaushalt ist die Kreisumlage. Im letzten Jahre mussten die Kommunen zwischen 789 Euro pro Einwohner in Saarbrücken und 462 Euro pro Einwohner in Marpingen an den Kreis abführen (siehe Tabelle Saarland-Ranking: Sparsame Gemeinden) für Umweltschutz und Schulen, Jugendpflege und Soziales, Gesundheit und Tourismus, auch für freiwillige Leistungen. Die Bürgermeister und Räte können sich nicht gegen die Zwangsabgabe wehren. Und die Landräte langen immer kräftiger zu. Seit 2009 ist die Kreisumlage auf die Einwohner gerechnet um 40 Prozent (Kreise Merzig-Wadern und Neunkirchen) gestiegen. Manchem Bürgermeister könnte bei dem, was Gillo und Gallo und Kollegen fordern, die Galle überlaufen. Beispiel St. Ingbert: Als wohlhabendste Kommune des Saarlandes müssen Bürgermeister Hans Wagner und sein Stadtrat 27 Millionen Euro zum Saarpfalzkreis überweisen, fast die gesamten Gewerbesteuereinnahmen ihrer Stadt.

Der wachsende Groll der Kommunalpolitiker ist verständlich. Keiner weiß so richtig, wofür die Landräte das Geld im Einzelnen ausgeben, ob sie effizient wirtschaften und in welchem Umfang sie damit freiwillige Ausgaben wie Tourismuswerbung, Freizeitangebote und Kulturprogramme, beliebte Spielwiesen der profilversessenen Landräte, finanzieren. Innenminister Klaus Bouillon lässt dies zurzeit gutachterlich ermitteln. Anfang 2018 sollen Ergebnisse vorliegen.

Quellen: Christopg Gröpl, Friedrich Heinemann und Alexander Kalb „Die Zweckentfremdung des kommunalen Kassenkredits – eine rechtlich-ökonomische Analyse“ in Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2010.
BertelsmannStiftung: Kommunaler Finanzreport 2017
Statistisches Landesamt: Ausgewählte Finanz und Steuerdaten der saarländischen Gemeinden und Gemeindeverbände 2009 bis 2016