Depressionsland Saarland: Woher kommt der viele Stress?

Depression hat unterschiedliche Ursachen. © Adobe

In keinem Bundesland sind so viele Menschen psychisch krank. Jeder zehnte hierzulande leidet darunter. Krankenkassen melden einen Anstieg um 60 Prozent. Ursachen: Stress im Job, traumatische Erlebnisse oder persönliche Veranlagung. Die neue Saarlandinside-Reihe: „Die Gesundheit der Saarländer“.

Sie kann jeden treffen, unabhängig von Beruf, Alter und sozialem Stand: In Deutschland erkranken rund 5,3 Millionen Erwachsene zwischen 18 und 79 Jahren jedes Jahr an einer Depression. Auch viele Kinder und Jugendliche sowie Menschen über 80 Jahren leiden darunter. Sie gehöre „zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere am meisten unterschätzten Erkrankungen“, betont die Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Etwa jeder Fünfte ist mindestens einmal im Leben davon betroffen. Für die Stiftung steht fest: „Die Volkskrankheit Depression verursacht durch Fehltage und Frühberentungen steigende Kosten für die Wirtschaft.“ 

Jeder Beschäftigte fehlt fast fünf Tage

Besonders deutlich wird dies im Saarland, das im Bundesländervergleich den Rekord bei Krankmeldungen wegen psychischer Leiden hält. 2020 fehlte hierzulande deswegen jeder Beschäftigte rechnerisch 4,7 Tage bei der Arbeit (2019: 4,3 Tage). „Das ist der höchste Wert unter allen Bundesländern und entspricht einer Zunahme von 62,1 Prozent verglichen mit dem Jahr 2010 (2,9 Tage)“, erklärt die Barmer Krankenkasse. Sie hatte die Arbeitsunfähigkeitsmeldungen von 54.000 bei ihr versicherten Erwerbspersonen mit Wohnsitz im Saarland anonymisiert ausgewertet.


Dunja Kleis, Landesgeschäftsführerin der BARMER in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Foto: BARMER/Carsten Costard

„Corona hat zudem viele Beschäftigte durch Kurzarbeit und Homeoffice isoliert und psychisch belastet. Die Zahl der Fehltage im Job wegen seelischer Leiden wächst hierzulande aber auch ohne Corona seit Jahren“, teilt Dunja Kleis mit, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Sie rät zu entsprechendem betrieblichen Gesundheitsmanagement.

Unternehmen verantwortlich für das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter

Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe empfiehlt Unternehmen, Maßnahmen zur Förderung des allgemeinen Wohlbefindens und Stressreduktion zu ergreifen: „Programme mit Elementen wie Stressreduktion und allgemein gesundheitsförderndes Verhalten können sehr sinnvoll sein und werden von den Mitarbeitern als Wertschätzung wahrgenommen.“ Allerdings sei dadurch eine Prävention der Depression nur begrenzt möglich, denn sie ist keineswegs immer die Folge der Arbeitsbelastung oder anderer negativer Lebensbedingungen, sondern eine eigenständige Erkrankung, die jeden mit einer entsprechenden Veranlagung treffen kann.

Bündnis bietet Schulungen für Unternehmen an

Besonders wichtig ist die Unterstützung für Mitarbeiter mit psychischen Erkrankungen, um deren Leid zu verkürzen und entstehende Kosten zu senken. Der Experten-Rat der Stiftung: „Ergreifen Sie die Initiative: Sprechen Sie den Mitarbeiter an, wenn Sie das Gefühl haben, dass er sich sehr verändert! Dabei sollten Sie keine Berührungsängste haben. Sprechen Sie Ihre Beobachtungen an und, dass Sie sich Sorge machen.“ Infolge geht es darum, den Mitarbeiter zu motivieren und eventuell dabei zu unterstützen, sich professionelle Hilfe zu holen.

Zum Thema „Depression am Arbeitsplatz“ bietet das Saarländische Bündnis gegen Depression auf Anfrage Schulungen an. Diese beinhalten neben sachlichen Informationen zu Symptomen, Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten vor allem praktische Hilfen für den Umgang mit betroffenen Mitarbeitern.

Jede zweite Frühverrentung wegen Depression

Unternehmen können nicht nur das Leid der Mitarbeiter verkürzen, sondern auch entstehende Kosten senken. Wenn Mitarbeiter länger ausfallen, schränkt dies auch die eingeschränkte Produktivität und Leistungsfähigkeit der gesunden Kollegen ein.

Oftmals droht der vorzeitige Ruhestand: Beinah jede zweite gesundheitsbedingte Frühverrentung ist nach Angaben der Stiftung Deutsche Depressionshilfe psychisch bedingt, am häufigsten aufgrund der Diagnose Depression.

Schon 8.200 saarländische Kinder und Jugendliche Depressions-krank

Depression greift auch immer mehr unter Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Saarland um sich. Immer mehr benötigen eine Psychotherapie. Die Corona-Pandemie scheint diesen Trend verstärkt zu haben, sagt der Arztreport der Barmer. Auch hier der Rat von Dunja Kleis: Im Zweifel sollten Eltern immer professionelle Hilfe für ihre Kinder aufsuchen.

Laut Barmer-Arztreport hat sich der Anteil junger Menschen aus dem Saarland im Alter bis 24 Jahren, die eine psychotherapeutische Behandlung erhalten haben, vom Jahr 2009 bis zum Jahr 2019 mehr als verdoppelt (von 1,68 Prozent auf 3,79 Prozent). Rund 8.200 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in dem Bundesland erhielten damit im Jahr 2019 eine Psychotherapie. Man könnte auch sagen, dass etwa ein Kind pro Schulklasse therapiebedürftig ist“, rechnet Kleis vor.

Corona-Pandemie verschärft Situation bei Kindern und Jugendlichen

Die Corona-Pandemie samt strikter Kontaktbeschränkungen hat die Lage der jungen Menschen bis 24 Jahren verschärft. Akutbehandlungen und die Anträge für psychotherapeutische Leistungen sind im Jahr 2020 um 6,3 Prozent gestiegen, im Vergleich zum Vorjahr. Psychotherapien bei Kindern und Jugendlichen haben sehr unterschiedliche Ursachen. Am häufigsten sind sogenannte „Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen“. Dafür gebe es viele Auslöser, angefangen von Trauererlebnissen bis hin zu Mobbing. Die zweithäufigste Ursache seien Depressionen gewesen, gefolgt von Angststörungen und emotionalen Störungen im Kindesalter.  Wegen des steigenden Bedarfs gibt es immer mehr Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten im Saarland. Ihre Zahl ist von 44 auf 61 gestiegen.

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