Frustrierte Arbeitsrichter und schleppende Prozesse

Anwälte klagen über zu lange Verfahrensdauer vor dem saarländischen Arbeitsgericht. Ein Jahr nach der Gerichtsreform dauern Prozesse länger als zuvor. Das kann Arbeitnehmer an den Rand von Hartz IV bringen.

In Sachen Arbeitstempo waren die saarländischen Arbeitsgerichte bundesweit lange bei den Schlusslichtern. Anfang April 2018 wurden dann die saarländischen Arbeitsgerichte in Neunkirchen, Saarlouis und Saarbrücken fusioniert. Ziel war, die Effizienz zu steigern. Das Ergebnis ist das Gegenteil, mit negativen Auswirkungen für viele Arbeitnehmer.

Die Zeit läuft langsam. Die Saarbrücker Arbeitsrichter stehen mit teilweise überlanger Verfahrensdauer in der Statistik.

43 Prozent mehr offene Verfahren

So hat sich die Anzahl der offenen Verfahren immer weiter hochgeschaukelt: Waren Anfang 2017 noch 1.304 Verfahren nicht abgeschlossen, so waren es ein Jahr später bereits 1.564. Anfang April – ein Jahr nach der Verschmelzung der Arbeitsgerichte – waren sogar 1.867 Verfahren offen, so die auf Anfrage von Saarlandinside bereitgestellten Zahlen des Justizministeriums. Gegenüber Anfang 2017 ist dies eine Steigerung von 43 Prozent. Auch die Bearbeitung dauert bei Urteilsverfahren in erster Instanz mit vier Monaten rund einen Monat länger als im Bundesdurchschnitt.

Wenn der Arbeitgeber die Gehaltszahlung einstellt, kann dies bei langen Gerichtsprozessen für Arbeitnehmer existenziell werden.

Klagen aus 2017 noch nicht abgeschlossen

Die hört sich nicht so dramatisch an. Aber es ist eben nur ein Durchschnittswert. Das Problem: In Einzelfällen sind die Bearbeitungszeiten deutlicher länger. Dennis Dacke, Pressesprecher der Gewerkschaft Verdi bestätigt den Eindruck, dass die Dauer der Verfahren stark von der zuständigen Kammer innerhalb des Gerichts abhängt. “Wir haben Fälle, wo im schlimmsten Fall noch Klagen von 2017 anhängig sind, wo erst vor einigen Tagen ein Vergleich geschlossen wurde, da unser Mitglied sonst in Konflikt mit ALG 2 gekommen wäre. Auf der anderen Seite haben wir Fälle, die innerhalb weniger Wochen bearbeitet und geurteilt sind.“ Dies würde aber noch lange nicht heißen, dass dann auch zeitnah das schriftliche Urteil oder der Titel vorliegt.

„Die Richter sind frustriert“

Ein in Saarbrücken ansässiger Anwalt für Arbeitsrecht bestätigt, dass die Kläger im Saarland vergleichsweise lange auf ihr Recht warten müssen. „Bei den Arbeitsgerichten in Koblenz oder Mannheim ist ein ganz anderer Zug dahinter“. Die Auswertung der Werte des statistischen Bundesamtes durch Saarlandinside bestätigt dies: Im Saarland dauerten  im Jahr 2017 (die Werte für 2018 liegen noch nicht vor) mehr als 5 Prozent der Urteilsverfahren über 12 Monate. In Baden-Württemberg kommt dies so gut wie gar nicht vor. Nach Einschätzung des Saarbrücker Anwalts dauern viele Verfahren nach der Umstrukturierung noch länger. Offensichtlich habe bei der Umstrukturierung die Führung versagt. So habe man bei Umbesetzungen renommierte Richter vor den Kopf gestoßen. „Man hat den Eindruck, dass viele Richter richtig frustriert sind.“             

Arbeitgeber und Arbeitnehmer wollen schnelle Prozesse

Etwa 95 Prozent der Verfahren sind Kündigungsschutzprozesse. Diese haben fast immer massive negative finanzielle und auch seelische Auswirkungen auf die betroffenen Arbeitnehmer. Unter Umständen bleibt die Fortzahlung des Gehalts völlig aus. Je länger das Verfahren dauert, umso höher ist deshalb die Wahrscheinlichkeit, dass dies existenzielle Folgen hat.  Selbst die Pressesprecherin des Justizministeriums, Sirin Özfirat, bestätigt auf Anfrage: „Da das Arbeitsrecht in besonderem Maße die persönliche Lebensführung der Beteiligten betrifft, sind längere Bearbeitungszeiten in diesbezüglichen Rechtsstreitigkeiten für die Beteiligten mit nicht unerheblichen Belastungen – psychisch, finanziell etc. – verbunden.“

Joachim Malter, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der saarländischen Unternehmensverbände, sieht die Gefahr, dass lange Prozesse Arbeitgeber erpressbar machen. „Jeder Monat Verfahrensdauer verteuert den Prozess um ein Monatsgehalt. Je länger der Prozess dauert, desto größer wird der Druck, einen Vergleich mit Abfindung abzuschließen.“ Viele Kläger hätten dann schon längst einen anderen Job. Auch die saarländischen Unternehmensverbände hätten deshalb ein hohes Interesse an schnellen Prozessen, sagt Malter.

Nicht haltbare Zustände für die Beschäftigten

Nach Ansicht von Verdi sind ein Grund dafür die Arbeitsbedingungen beim zentralisierten Arbeitsgericht in Saarbrücken. Die Beschäftigten können die Flut an Verfahren nicht mehr bewältigen. „Wir haben aus gewerkschaftlicher Sicht eine nicht haltbare Situation für Beschäftigte und Beamte des Arbeitsgerichtes als auch für die klagenden Menschen.“ Das Justizministerium verweist darauf, dass der Personalbedarf mit dem bundesweiten System „Pebbsy“ nach einem standardisierten Verfahren erfolgen würde. Dieses System sei „aussagekräftig“.   
   
Fazit: Abhängig Beschäftigte sind dem Arbeitgeber gegenüber in einer unterlegenen Position. Das Arbeitsrecht soll deshalb Waffengleichheit herstellen. Eine lange Prozessdauer kann diese beeinträchtigen und Kläger mürbe machen. Wenn Richter nicht in die Lage versetzt werden, Urteile zeitnah zu fällen, leidet die Akzeptanz des deutschen Rechtsstaates. Diese Entwicklung frustriert die Bürger. Strukturen und Ressourcen zu bündeln, damit Behörden leistungsfähiger werden, macht in unserem kleinen Bundesland absolut Sinn. Wenn damit eine realistische Personalausstattung einhergeht. Außerdem müssen auch bei öffentlichen Einrichtungen Veränderungen professionell gemanagt werden. Dies war im Falle der Fusion der Arbeitsgerichte im Saarland offensichtlich nicht der Fall.  

Wenn Sie die nächsten Saarlandinside-Beiträge nicht verpassen wollen, informieren wir Sie gerne rechtzeitig per Newsletter. Hier kostenlos bestellen.

Bitte weitersagen,
dass Saarlandinside als wichtige Informationsquelle zur Verfügung steht. Nutzen Sie dazu bitte die Social-Media-Leiste am linken Rand. Herzlichen Dank.