Die hohen saarländischen Energiepreise belasten die Verbraucher, insbesondere die 20 Prozent der Familien unter der Armutsgrenze. Das Armutsrisiko steigt vor allem bei Alleinerziehenden weiter. Stromsperren drohen. Wie die Politik bei sozialer Gerechtigkeit versagt. Beispiel Energiearmut.
Ortstermin Wärmestube in der Triererstraße in Saarbrücken. Eigentlich als Unterkunft in kalten Zeiten für Obdachlose eingerichtet, ist sie inzwischen Zufluchtsort für Saarbrücker Arme. An die hundert Bedürftige bekommen hier Tag für Tag für einen Euro eine warme Mahlzeit. Sie haben keine andere Wahl. Von ihrer Sozialhilfe geht immer mehr für die Lebenshaltung, insbesondere den im Saarland sehr teuren Strom drauf. Stromsperren drohen.
Wie bei Hans-Joachim, mit dem ich mich hier treffe. Der 58jährige Hans-Joachim war einmal ein Alleskönner. Der Mann hat drei Gesellenbriefe. Er war Bäcker, Autoelektriker und Zimmermann. Allergien und Krankheiten hatten ihn hin und her geworfen. Vor zehn Jahren war dann alles aus, mit einem Schlag. Seine Freundin starb. Joachim wurde schwer krank, sein Leben von heute auf morgen chancenlos, aussichtslos, ausweglos. Er bezieht 330 Euro Erwerbsunfähigkeitsrente. 150 Euro legt das Sozialamt drauf, inklusive Sonderbedarf für seine Krankheiten.
Die Energieversorger bekommen immer ihr Geld
Hans-Joachim musste aus seiner Sozialwohnung in der Mainzer Straße in die Fischbachstraße auf dem Rastpfuhl umziehen. Bis dahin wurde seine Stromrechnung mit der Miete beglichen. Nach sechs Wochen kamen die Stadtwerke-Techniker und sperrten den Strom. Die Forderungen von Energie-Saarlorlux – Mahnkosten, Abschlagszahlungen, Gebühren für den Strom-Wiederanschluss und kein Geld – aus diesem Dilemma will er aber raus. „Ich brauche nicht viel: Wasserkocher, ein Radio und Kühlschrank“. Zurzeit hilft ihm sein Nachbar über die Runden, bis ihm vielleicht die Arbeitsagentur seinen Rückstand bei Energie-Saarlorlux in einen Kredit des Staates umwandelt. Die Energieversorger bekommen immer ihr Geld.
Hans-Joachim (58), eins von 880 Stromsperr-Opfern im Saarland
88.000 angedrohte Stromsperren in einem Jahr
Die Linke-Abgeordnete Dagmar Ensch-Engel weist darauf hin, dass von den 88.000 angedrohten Stromsperren im Saarland – das sind fast 18 Prozent aller Haushalte – immerhin 880 durchgesetzt wurden. Sie fragt die Landesregierung nach einem Gremium, das die Grundversorgung bedürftiger Menschen mit Strom sichert. Für den Paritätischen Wohlfahrtsverband sind dies Familien mit Kindern, Schwangere, Ältere, Behinderte. Dass Staaten bei schutzbedürftigen Kunden für einen angemessenen Schutz sorgen müssen, „einschließlich Maßnahmen zur Vermeidung eines Ausschlusses von der Versorgung“, steht schon in der EU-Richtlinie über den Elektrizitätsbinnenmarkt aus dem Jahre 2003.
Landesregierung: Regelbedarf für Energie ausreichend
An angemessenem Schutz besteht im Saarland bei Politik und Energiewirtschaft aber offenbar wenig Interesse. In der Antwort auf die Landtagsanfrage von Dagmar Ensch-Engel vom Januar dieses Jahres verweist die Landesregierung auf die Energieberatung der Verbraucherzentrale, die „grundsätzlich alle Verbrauchergruppen berät.“ Das von der Linke-Abgeordneten vorgetragene Entschuldungs-Gremium sei „entbehrlich“, der Runde Tisch „Stromsperren“ beim Verbraucherschutzministerium und der SGBII-Regelbedarf für Strom seien ausreichend festgesetzt.
Gegen eine Wand von Politikern und Energieversorgern
Wolfgang Edlinger, Vorsitzender der saarländischen Armutskonferenz, könnte explodieren, wenn er sowas liest. Auch er plädiert am Runden Tisch seit Jahren für einen Fonds. Benötigt werden etwa 300.000 Euro (Stand 2016), um denen, die es nachweislich nicht aus eigener Kraft schaffen können, die Stromschulden zu erlassen. Ein EU-konformes Verfahren, mit dem Frankreich und Großbritannien bedürftige Menschen vor dem Zugriff der Energieversorger schützt. Edlinger läuft gegen eine Wand von Politik und Energieversorgern.
Armutskonferenz: Energieministerin Rehlinger soll sich kümmern
Er hört noch den sozialdemokratischen Minister Jost am Runden Tisch poltern: „Wenn man den Leuten sagt, es gibt einen Fonds, dann bezahlt keiner mehr. Ich setze damit die falschen Signale.“ Es stellt sich die Frage, ob Minister Jost, der gerne auf seine einfache Bildung und Herkunft hinweist, bei dem hochsensiblen Thema Signale setzen kann. Er ist kein Mann des sozialpolitischen Weitblicks. Für Edlinger wäre das Thema Stromsperren bei Energieministerin Anke Rehlinger ohnehin besser aufgehoben.
Wo bleibt der angekündigte Aktionsplan gegen Armut?
Im Koalitionsvertrag vom letzten Jahr spiegelten CDU und SPD noch mehr Empathie als in der Antwort auf die aktuelle Linke-Anfrage vor: „Der erste Armuts- und Reichtumsbericht für das Saarland hat aufgezeigt, dass insbesondere Alleinerziehende, arbeitslose und gering qualifizierte Menschen ein hohes Armutsrisiko trifft. Auch Altersarmut wird in Zukunft leider eine noch größere Rolle spielen. Wir wollen daher einen wirksamen und finanziell abgesicherten „Aktionsplan zur Bekämpfung von Armut“ im Saarland entwickeln. Eine Nachfrage beim Sozialministerium nach dem Stand des Aktionsplans lässt erkennen: Eine schlüssige Strategie fehlt, bisherige Maßnahme wurden nicht evaluiert, keine Ziele gesetzt, kein Programm aufgelegt.
Energiesparlampen ja – Anbieterwechsel verboten
Das Thema hohe Strompreise und Stromsperren könnte ein Image-Problem für die saarländischen Energieversorgungsunternehmen werden. Deshalb setzen sie auf Öko-Marekting und Beratung. Seit 2014 bieten sie mit dem Diakonischen Werk und der Caritas den Stromsparcheck an. Von den rund 90.000 einkommensschwachen Haushalten haben sie in vier Jahren mit zuletzt 18 Energieberatern 1.800 erreicht, gerade zwei Prozent. Von Tipps, LED-Energiesparlampen und 150 Euro Zuschuss für einen Kühlschrank können sich die meisten beratenen Haushalte aber nichts kaufen. Vor allem ist den Energie-Beratern strikt verboten, mit den Familien über einen Anbieterwechsel zu reden, ein Schritt, der bei Strom und Gas den Familien sofort einige Hundert Euro im Jahr bringen würde. Der Grund: Beratungsstelle ist die ARGE Solar, die Ökoenergie-Agentur, hinter der saarländische Energieversorger stecken. Die wollen mit allen Mitteln verhindern, dass die Kunden abwandern.
Landräte im Interessenkonflikt zwischen Sozialamt und VSE-Aufsichtsrat
Auch die Sozialämter müssten im Rahmen der Sozialhilfe die Empfänger zum Kosten sparen motivieren, dies ist allgemeiner gesetzlicher Auftrag. Landräte und Bürgermeister stehen aber im Interessenkonflikt; sie sitzen in den Aufsichtsräten der Energieversorger. Bei der VSE sind dies Peter Gillo (stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender, Regionalverbandsdirektor), Charlotte Britz (Oberbürgermeisterin Saarbrücken, ist auch stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende bei Energie-Saarlorlux), Peter Klär (Bürgermeister St. Wendel, auch Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke St. Wendel), Patrick Lauer (Landrat Saarlouis), Stephan Louis (Bürgermeister Bous, auch Aufsichtsrat der Gas- und Wasserwerke), Sören Meng (Landrat Neunkirchen), Udo Recktenwald (Landrat St. Wendel). Der 22köpfige Aufsichtsrat kassiert im Geschäftsjahr 2016 Gesamtbezüge von 280.000 Euro; dies entspricht genau dem, was die Strom-gesperrten Hartz-IV-Bezieher bei ihren Versorgern an Schulden hatten.
Ein Umweltminister aus dem Saarland will eine neue Phase der Energiewende
Ein anderer Minister aus dem Saarland, der baden-württembergische Grüne Minister für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, Franz Untersteller aus Ensheim, sieht schon länger, dass die Energiewende in Schieflage gerät. Er will eine neue Phase der Energiewende einläuten und hat sein Konzept in die bundesweite Diskussion gegeben: Den alten Zopf Stromsteuer abschneiden und die EEG-Umlage halbieren. Die Kilowattstunde Strom würde so sechs Cent, 20 Prozent, billiger. Gegenfinanzieren soll dies eine Erhöhung der Steuern auf „schmutzige Energien“ Heizöl, Erdgas und Treibstoffe. Diese Erhöhung liege im Bereich der Marktbewegungen der letzten Jahre. Dies hülfe allen, vor allem den Einkommensschwachen, ein Single-Haushalt sparte dadurch etwa 120 Euro.
Fazit: Die hohen Energiepreise saarländischer Versorger belasten immer stärker die rund 90.000 Haushalte unterhalb der Armutsgrenze. Die Unternehmen beraten mit LED-Lampen und Prämien für einen Kühlschrank. Das macht die Landespolitik gerne mit. Energiearmut ist aber kein Marketingproblem sondern ein strukturelles. Die Große Koalition sollte dazu ihre Ankündigungen im Koalitionsvertrag nochmal lesen. Der ist gerade neun Monat alt und verstaubt in der Minister-Schublade.
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Links
Landtag-Saar: Antwort zu der Anfrage der Abgeordneten Dagmar Ensch-Engel (DIE LINKE.) betr.: Stromsperren vom 26.1.2018
Stuttgarter Nachrichten vom 18.1.2018: Untersteller will Abgabenlast beim Strom senken