Saarbahn-Millionen fehlen für besseren Bus- und Zugverkehr


170 Millionen teurer als ursprünglich geplant, und nur halb so viele Fahrgäste wie prognostiziert – die Saarbahn ist keineswegs das Modellprojekt, wie es die Landesregierung vorgibt. Wer hat das zu verantworten? (2. Teil)

Es drängt sich die Frage nach der Verantwortung des Stadtrats und des Saarbahn-Aufsichtsrats auf. Seine Mitglieder, allesamt von den Parteien entsandt, haben über die Jahre offenbar vom Saarbahn-Management und der Aufsichtsratsvorsitzenden Charlotte Britz wenig Auskünfte über Planungsprobleme, Management, Kostenentwicklung und Finanzierung gefordert. Der Aufsichtsrat widmete vor allem Alltagsfragen wie nach überfüllten Mülleimern an den Haltestellen viel Zeit und Raum. Projektmanagement und Aufsicht, das war eine Angelegenheit von Saarbahn-Geschäftsführer Peter Edlinger und Charlotte Britz.

“Nach Saarbrücken pendeln täglich rund 140.000 Menschen. Viele mit dem Auto. Mit der Saarbahn bieten wir ihnen eine attraktive Alternative. Das entlastet die Umwelt, das Klima und die  Anwohner.“ 
Oberbürgermeisterin und Saarbahn-Aufsichtsratsvorsitzende Charlotte Britz bei der Eröffnung der Lebach-Strecke

Politiker und Journalisten mit Freiabos gepampert

Das Saarbahn-Debakel ist bisher unterm saarländischen Teppich geblieben. Ein Saarbahn-Insider meint, die Medien berichteten selektiv und stützten in kritischen Situationen die Geschäftsführer;  „manche Artikel könnten von Saarbahn-Geschäftsführer Edlinger geschrieben sein“. Edlinger kann keine Kritiker gebrauchen. Aufsichts-, Stadträte und Journalisten sollen wohlgestimmt sein. Edlinger pampert sie mit kostenlosen Zeitkarten für Bus und Bahn. Wert der Abos heute zwischen 600 und 900 Euro. Rund 1.000 Begünstigte sollen auf der Liste stehen. Das Finanzamt soll eine Steuernachzahlung bis zu einer Million Euro gefordert haben. Edlinger verweigert Detailangaben, die Freiabos würden aber im branchenüblichen Umfang gewährt, sagt er.

Woher 120 Millionen für neue Saarbahnzüge?

Ein ganz dicker Brocken steht der Saarbahn noch ins Haus. Ihre 28 Saarbahnzüge sind nach 20 bis 25 Jahren technisch am Ende. Saarbahn hat die Ersatzbestellung wiederholt angekündigt. Die 28 Züge kosten mehr als 120 Millionen Euro. Das Land hofft auf Bundeszuschüsse und will laut Finanzplan 36 Millionen selbst übernehmen. Und als wären die Finanzprobleme nicht groß genug, bringt Edlinger jetzt auch noch die Strecke nach Forbach ins Gespräch. Bis 170 Millionen soll die Linie kosten, sagt er. Angaben zu Fahrgastpotenzialen machte er keine. Die bisher ohne Zuschüsse fahrende Buslinie 30 wird dann sicher stillgelegt.

Millionen fehlen heute für attraktiven ÖPNV

Die verplemperten Saarbahn-Millionen fehlen heute für einen kundenfreundlichen Nahverkehr. Was in der Landeshauptstadt in den Sand gesetzt wurde, steht für den ÖPNV in den Landkreisen, für bürgerfreundlichen Lokalverkehr auf dem Land oder für die Elektrifizierung der Bahnstrecken nicht mehr zur Verfügung. Die einst als strukturpolitisches Modellprojekt idealisierte Saarbahnlinie S1 ist nie das „Rückgrat des saarländischen ÖPNV“ geworden, hat der Landesrechnungshof resignierend festgestellt. Sie ist außerhalb der Landeshauptstadt eher eine schwache aber teure Stützschiene.

“In den öffentlichen Verkehr fließt viel Geld, das Geld der Steuerzahler, das Geld Ihrer Wähler. Diese haben das Recht darauf, dass es bestmöglich eingesetzt wird.“

 Andrea Schrickel, Verkehrsclub Deutschland,  bei  der Landtagsanhörung zum Gesetz über den Öffentlichen Personennahverkehr im Saarland am 28. September 2016.

25 Jahre Saarbahn: Eine Chronologie des Durcheinanders und der Irreführung

Saarlandinside hat in den Archiven recherchiert, wie das Saarbahnprojekt seit Anfang der 90er Jahre planerisch und finanziell gemanagt wurde. Insbesondere den Protokollen der Landtagsauschüsse lässt sich entnehmen, dass viele Abgeordnete nur vage Vorstellungen von dem hatten, was sie im Landeshaushalt beschlossen hatten. Je größer die Probleme beim Management und bei den Bauarbeiten wurden, desto schneller ließ das Interesse der Abgeordneten an dem Jahrhundertprojekt nach. Saarlandinside hilft ihnen mit dieser Chronologie auf die Sprünge.

Landesregierung 1993: Keine Übernahme der Betriebskostendefizite der Saarbahn durch das Land. Das erwartete jährliche Defizit von 10,6 Mio. DM wird durch Einsparungen im Busbereich von 9 Mio. DM weitgehend abgedeckt.

Landtagsausschuss für Verkehr am 19. Januar 1995: Verkehrsministerium berichtet, dass die Ausbaustufe IA Saargemünd – Saarbrücken – Lebach (und Neuscheidt) 540 Mio. DM (276 Mio. €) inklusive Planung und Fahrzeuge kostet. Das Land übernimmt 225 Mio. der Bund 214 Mio., die Saarbahn: 101 Mio. DM.

Landtagssausschuss für Verkehr am 25. September 1995: Die Strecke von Saargemünd bis Lebach soll im Jahr 2000 in Betrieb gehen.Mit einer Steigerung der Investitionskosten ist nicht zu rechnen. Wirtschaftlichkeitsberechnungen haben Betriebsdefizite ergeben, die aber überwiegend durch die Reduzierung des Busbetriebs abgedeckt werden.

Landtagsausschuss für Verkehr am 7. Juli 1997: Gesamtkosten steigen um 100 Mio. DM auf 640 Mio. DM (327 Mio. €) laut Strukturprogramm der Landesregierung.

Landtagssausschuss für Verkehr am 10. Juli 1997: Die Mehrkosten betragen 71,7 Mio. DM, insgesamt 612 Mio. DM. Ministerialrat Becker: Fertigstellung bis nach Lebach für 2001 angepeilt. Landtags-abgeordneter Seilner (CDU) zitiert Minister Leonhardt: 1998 soll die Saarbahn nach Merzig fahren.

Saarbahn-Geschäftsführer Norbert Walter am 7. November 1997: “Das Land hat mit dem Betriebskostendefiziten der Saarbahn nichts zu tun Ich rechne mit 20 bis 25 Mio. Fahrgästen“.

Arbeitgeberverband der Bauwirtschaft 1997: Das Saarbahn-Management handele bei Planung, Ausschreibung und Baumaßnahmen “provisorisch, dilettantisch, unprofessionell“.

Landtagssausschuss für Verkehr 1998: Die Saarbahn soll Lebach bis spätestens 2002 erreichen. Die Kostensteigerung für die Baumaßnahmen beträgt mehr als 10 % (rund 40 Mio. DM).

SPD-Landtagsfraktion am 19. Juni1998: Die Saarbahn soll auch an das Schienennetz Luxemburgs und Ostfrankreichs angebunden werden.

Verkehrsclub Deutschland (VCD) 1999: Saarland in einer „Saarbahn-Trance“. Der ÖPNV in Saarbrücken befördert etwa so viele Leute wie zu Zeiten des Busbetriebs 1995. Für die Masse der Fahrgäste gibt es keine Verbesserung durch Saarbahn.

Landesregierung 2002: Entscheidung, dass alle Betriebsdefizite (außer Saargemünd – Brebach) sind von der Saarbahn zu tragen sind.

Verkehrsstaatssekretär Albert Hettrich am 19. Januar 2005: Wir können davon ausgehen, dass wir es 2006 nach Lebach schaffen, 2009 nach Völklingen, Burbach – Neuscheidt soll anstatt 2006 im Zeitraum 2008/2009 in Betrieb gehen.

Landtagssausschuss für Verkehr am 25. Januar 2006: Am 13.12.2005 hat der Ministerrat beschlossen, Völklingen – SB – Neuscheidt zurückzustellen. Ziel ist, 2007 Lebach zu erreichen. Der Ministerrat beschließt nun doch eine Defizit-Übernahme von 2,5 Mio. € jährlich für Betrieb Walpershofen – Lebach.

Landtagssausschuss für Verkehr am 11. Dezember 2006: Im Februar 2005 wurde die Landesregierung von der Saarbahn- Geschäftsführung über Verzögerungen bei der Planfeststellung nach Lebach informiert.

Saarbahn-Geschäftsführung am 17. Juni 2009: Inbetriebnahme der Strecke von Riegelsberg-Süd bis Etzenhofen. Weiterbau von Heusweiler nach Lebach teurer als geplant. Das Gesamtprojekt von Saargemünd bis Lebach liege mit den Baukosten im Plan, 390 Mio. Euro.

Saarbahn-Geschäftsführung 2010: „Nach Inbetriebnahme der Gesamtstrecke bis Lebach im Jahr 2013 wird das Gesamtprojekt rund 400 Mio. Euro gekostet haben. Davon werden rund 100 Mio. Euro von der Stadtbahn Saar GmbH getragen.“

Saarbahn-Geschäftsführung  am 13. Dezember 2013:  Bau der Linie 2 zwischen Schafbrücke und Burbach bis 2019 möglich. Wenn  die Strecke nicht gebaut wird, muss das Land Millionenzuschüsse an den Bund zurückzahlen.

5. Oktober 2014: Inbetriebnahme des Abschnitts nach Lebach.

Landeshaushalt 2019/2020: In der Finanzplanung des Landes werden die bisherigen Gesamtkosten des Projekts mit 460 Mio. Euro angegeben, inklusive 36 Mio. Euro für die Ersatzbeschaffung von Zügen ab 2022.

5. Saarbahn-Geschäftsführer Peter Edlinger am 22. Januar 2019:
Die Gesamtprojektkosten der Saarbahn betragen seit Anfang der 90er Jahre bis heute rund 360 Mio. Euro

Quellen:
Landtag des Saarlandes: Protokolle der Sitzungen des Landtagsausschusses Verkehr seit 1994
Landesrechnungshof: Prüfbericht für das Jahr 2012
Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft Saarbrücken und Saarbahn-GmbH: diverse Publikationen
Saarbahn-GmbH: diverse Stellungnahmen von Geschäftsführung und Pressestelle

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