Studie: „Saarland auf dem Weg in einen dramatischen Pflegenotstand“

Im Saarland werden im Jahr 2040 mehr als 80.000 Menschen in Heimen oder zuhause gepflegt. Erheblich mehr als das Gesundheitsministerium bislang kalkulierte. Experten sehen einen dramatischen Pflegenotstand kommen. Die Pflege-Agenda des neuen Sozialministers Dr. Magnus Jung (SPD). Teil 4 der Saarlandinside-Serie: Wohin steuert das Saarland?
© VDEK / Susanne Paasch
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Für ausreichend Pflegeplätze sorgen

 Die Landesregierung hat den Handlungsbedarf für die Pflege alter Menschen massiv unterschätzt. Hat sie bisher für dieses Jahr mit 55.000 Pflegefällen kalkuliert, liegen die tatsächlichen Zahlen 25 Prozent höher, bei 68.000. Gründe: Das Gesundheitsministerium hat ein fünf Jahre altes Gesetz nicht berücksichtigt, nach dem auch Personen mit kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen Pflege beantragen können. Zudem leben im Saarland mehr alte Menschen als das Ministerium bisher angenommen hatte.

BARMER: Saarland auf dem Weg in dramatischen Pflegenotstand

„Angesichts der steigenden Zahl Pflegebedürftiger und der schon heute großen Zahl an fehlenden Pflegekräften ist das Saarland auf dem Weg in einen dramatischen Pflegenotstand“, schlägt BARMER-Landesgeschäftsführerin Dunja Kleis Alarm. Die Pflege im Saarland sei derzeit „eine Großbaustelle mit schwachem Fundament“, so Kleis.

VdK fordert eine demografisch orientierte Sozialpolitik

Der Landesvorsitzende des Sozialverbands VdK, Armin Lang, fasst die Ursachen zusammen: “Der Anstieg pflegebedürftiger und mehrfachkranker Menschen ist nirgendwo in Deutschland so groß wie im Saarland.“ Zum Geburtendefizit komme die Abwanderung insbesondere jüngerer Menschen. “Der Versorgungsnotstand wird immer größer und wird im Alltag der Menschen eine ähnliche Bedrohlichkeit wie die Klimakrise erreichen”, prophezeit Lang.

4.000 zusätzliche Pflegekräfte ausbilden

Die Zahlen zum Bedarf von Pflegeplätzen im Saarland haben Wissenschaftler der Universität Bremen für den aktuellen BARMER Pflegereport Saarland ermittelt. Mit den Pflegefällen steigt auch der Bedarf nach Pflegekräften. Die Wissenschaftler weisen auch hier einen großen Mangel nach. Bis 2030 werden 12.700 Pfleger in Heimen und in der ambulanten Versorgung benötigt. Stand heute fehlen dort 1.200 Fachkräfte. Die Arbeitskammer sieht einschließlich der Pflegehelfer insgesamt einen Bedarf von 4.000 zusätzlichen Jobs.

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Eine bürgernahe Prävention in den Kommunen aufbauen

Der Sozialverband VdK fordert von der Politik eine durchgreifende politische Strategie. Der VdK will grundsätzlich erreichen, dass ältere Menschen gar nicht erst in die Pflegebedürftigkeit geraten. Der Verband setzt auf eine professionellere Vorsorge. Dabei soll der präventive Hausbesuch helfen, den die kommunalen Gesundheitsämter als „regionale Kompetenzzentren für mehr Gesundheit“ organisieren sollen.

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Mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte 

Es geht nicht nur um eine ausreichende Zahl von Pflegeplätzen, sondern auch um die Situation der Pflegekräfte. Die BARMER hält vor allem attraktivere Arbeitsbedingungen in der Pflege für unabdingbar. Die Pflegekräfte sollen mehr verdienen. Sie brauchen Arbeitszeitmodelle, die Familie und Beruf vereinbar machen und die Belastungen der körperlich und psychisch enorm anstrengenden Arbeit in der Pflege abfedern. „Viele halten den Dauerstress nicht durch“, sagt Kleis.

Ähnlich wie bei der BARMER die Position beim Sozialverband VdK. Der Verband fordert zudem eine finanzielle Entlastung bei der Ausbildung von Pflegekräften. Die angehenden Pflegekräfte sollen nicht noch Schulgeld zahlen müssen. Berufspraktika in Ausbildung und Studium sollen vergütet werden.

Zudem: Beschäftigte in der Altenpflege verdienen erheblich weniger als in der Krankenpflege. Kommt eine Helfer-Kraft im Krankenhaus durchschnittlich auf 2.675 Euro im Monat, so muss ein Helfer in der Pflege mit 2.146 Euro auskommen, 25 Prozent weniger. Bei Fachkräften liegt der Gehaltsunterschied bei 17 Prozent, bei Spezialisten wie Intensivpflegern sogar bei 33 Prozent.

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Die hohen Eigenanteile der Heimpatienten abbauen

Die Pflegekosten steigen unaufhörlich. Nirgendwo müssen die Heimbewohner so viel aus eigener Tasche für einen Pflegeplatz zahlen wie in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland .

Das Problem hoher Eigenanteile wird sich in den nächsten Jahren vergrößern, denn eine bedarfsgerechte Personalausstattung, bessere Arbeitsbedingungen und höhere Gehälter führen zu steigenden Personalkosten und Pflegesätzen. Immer mehr Pflegebedürftige sind dann auf Sozialhilfe angewiesen. „Die Eigenanteile bleiben ein Ticket in die Altersarmut“, urteilt das deutsche Ärzteblatt.

Fazit: Zielstrebige Pflege-Politik anstatt Symbolen

Ex-Gesundheitsministerin Monika Bachmann wird als Politikerin mit Empathie in Erinnerung bleiben. Ihre Stärken lagen im Zwischenmenschlichen. Sie verteilte viele Pflege-Medaillen, ehrte Pflegehelden, lobte das Engagement der Ehrenamtler und animierte die Aktion „Nachbarn helfen Nachbarn“. Den Demenzkranken schenkte sie Comics und munterte sie mit einer Musik-CD auf: „Demenz doch ned so!“ Das war lieb gemeint, hat aber die strukturellen Probleme in der Pflege-Politik nicht gelöst.

Dr. Magnus Jung

Die BARMER hat jetzt rechtzeitig auf den drohenden Pflegenotstand im Saarland aufmerksam gemacht. Gesundheitsminister Magnus Jung (SPD) muss zeigen, dass er mehr draufhat als Medaillen und Urkunden. Dass die Pflegebedürftigen in den Heimen im Saarland mit seinem stark unterdurchschnittlichen Einkommensniveau zu den Teuerzahlern der Republik gehören, ist ein Skandal und wird die Altersarmut im Land vergrößern. Die Saarländer, die als Pflegefälle, pflegende und möglicherweise zahlende Familienangehörige und Pflegekräfte mit der Versorgung kranker Menschen zu tun haben (werden), erwarten von Jung eine fachlich orientierte Strategie mit klaren Vorgaben. Saarlandinside wird darauf zurückkommen.

Quellen:
BARMER Pflegereport Saarland
Dritter Landespflegebericht

Serie: Wohin steuert das Saarland? Bisher erschienen:

1. 200.000 Einwohner weniger: Wohin steuert das Saarland?
2. Einwohnerverlust: Wie die Landkreise schrumpfen
3. Saar-Arbeitsmarkt: 50.000 Jobs verschwinden und 23.000 neue entstehen

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