Wer weniger verdient, stirbt früher: Saar-Landkreise im Vergleich

Das Saarland liegt im Bundesvergleich auf der zweithöchsten Armutsstufe. Die Saarländer sind die kränksten Deutschen und sterben früher. Die Frauen haben die kürzeste Lebenserwartung. Insbesondere in den Landkreisen, in denen es den Menschen wirtschaftlich und sozial nicht so gut geht, gibt es eine höhere Erkrankungs- und Sterberaten. Saarlandinside-Gesundheitsreport Teil V über soziale Ungleichheit, die krank macht.

Der Wohlstand sinkt, Armut und Gesundheitsrisiken steigen

Immer mehr Studien untersuchen, wie sich die wirtschaftlichen und sozialen Lebensumstände allgemein auf Körper und Seele auswirken. Die Ergebnisse sagen: Wie gesund jemand ist, hängt auch von seinem sozialen Status ab. Wer lange ohne Job ist, in Armut oder als Asylbewerber lebt, oder weniger gebildet ist, ist häufiger krank als der Rest der Bevölkerung.

Armutsindex für die deutschen Landkreise

Das Robert Koch Institut (RKI) hat jetzt einen Index entwickelt, mit dem sich bis auf die Ebene der Landkreise die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse messen und bewerten lassen. Die Daten für acht Indikatoren liefern die Agentur für Arbeit, die Statistischen Ämter, der Bund und die Länder. Damit bildet das RKI einen Armutsindex im weiteren Sinne. Das RKI nennt ihn „Deutschen Index der sozioökonomischen Deprivation“. Unter dem Begriff „Deprivation“ fassen Soziologen Verlust und Verzicht, Entbehrungen und Einschränkungen der Menschen zusammen. Das RKI setzt diese Daten in Bezug zu den Daten aus dem regionalen Gesundheitsmonitoring und analysiert die Zusammenhänge. So wird erklärbar, warum in einigen Landkreisen die Menschen auch aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen häufiger und schlimmer krank werden als in anderen.

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Drei Saar-Landkreise in der höchsten Armutsstufe

Das Ergebnis der RKI-Analysen zusammengefasst: Das Saarland als Bundesland liegt auf der zweithöchsten Armutsstufe. Der Regionalverband Saarbrücken und die Kreise Neunkirchen und Merzig-Wadern gehören laut RKI zu den bundesweit ärmsten Landkreisen. Nur Saarlouis, St. Wendel und der Saarpfalzkreis liegen in der mittleren Gruppe.

Eine höhere sozioökonomische Deprivation findet sich in Teilregionen der neuen Bundesländer, aber auch im Saarland, in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen.  

Robert Koch Institut

Das RKI-Fazit: In Gegenden mit hoher Armut werden die Menschen nicht so alt, sterben früher an Krankheiten und haben vermehrt mit zahlreichen Gesundheitsrisiken zu kämpfen. Dies belegt auch der aktuelle Morbiditätsatlas der Barmer-Versicherung. Danach erkranken die Saarländer bei einem Einkommen bis 25.000 Euro im Jahr drei Mal häufiger als die mit mehr als 35.000 Euro. Auch die Allgemeinbildung ist entscheidend. Menschen ohne Schulabschluss oder mit Hauptschulabschluss erkranken deutlich häufiger als Abiturienten. Die Folgen für die Lebensqualität der Saarländer gehen aus den Daten des RKI und anderer Behörden hervor.

Hohe Sterblichkeit in Neunkirchen und St. Wendel

Die Anzahl der krankheitsbedingten Todesfälle (pro Jahr und pro 1000 Menschen) ist in den ärmsten Landkreisen am höchsten, sagt das RKI. Die neuesten Zahlen nennt das Statistische Bundesamt in seinem Regionalatlas 2021. Danach hat das Saarland die höchste Mortalität unter den westlichen Bundesländern. Maßgeblich ist der Wohnsitz. Läge das Saarland auf Bundesniveau, würden hier im Jahr etwa 2400 Menschen weniger sterben, im Durchschnitt der Jahre 2018-2022.

Sowohl das RKI als auch die Bundes- und Landesstatistiker weisen insbesondere für die Landkreise Neunkirchen (Merchweiler, Neunkirchen, Ottweiler) und St. Wendel (St. Wendel, Marpingen, Nohfelden, Nonnweiler) im Bundesvergleich hohe Sterberaten aus. Auffallend hoch auch die Raten bei einzelnen Gemeinden im Regionalverband (Kleinblittersdorf, Püttlingen und Sulzbach), im Kreis Saarlouis (Dillingen, Beckingen, Schwalbach, Bous und Schmelz), im Saarpfalzkreis (Blieskastel und Homburg).

Der Vergleich zeigt: Gemeinden mit überdurchschnittlichen Sterberaten liegen häufig in den Landkreisen mit hoher Armut.

Im Saarland die kürzeste Lebenserwartung

Armut, Verzicht und Entbehrungen verkürzen das Leben. Die Autoren der RKI-Studie verdeutlichen dies am Beispiel der Lebenserwartung von 65jährigen. Wer armutsgefährdet ist, erreicht als Mann gerade die 75 Jahre, eine Frau immerhin 80. Wer mehr verdient, lebt deutlich länger. Bei einem Haushaltseinkommen von 2.800 Euro wird eine Frau 83, ein Mann 78 Jahre alt. Im Durchschnitt.

Das Deutsche Ärzteblatt veröffentlichte 2020 das bundesweite Ranking zur Lebenserwartung in den deutschen Landkreisen. Darin liegt der Kreis-Merzig-Wadern auf Platz 356, der Kreis Neunkirchen auf Platz 361 und der Regionalverband Saarbrücken auf Platz 367 von 400 Kreisen. Im Saarland stehen die Chancen auf ein langes Leben also nicht so gut.

Die saarländischen Frauen haben die kürzeste Lebenserwartung in Deutschland, sagen auch die Bundesstatistiker. Bei den Männern kommen nur die Ostdeutschen auf weniger Lebensjahre (siehe Tabellen über die künftige Lebenserwartung in einem bestimmten Alter). Wenn sich die Differenz bei der erwarteten Lebenszeit teilweise nur hinter dem Komma zeigt, so hat dies doch beachtliche Folgen für die Volkswirtschaft. Den heute Neugeborenen im Saarland wird am Lebensende ein ganzes Jahr fehlen.

Im Saarland die meisten durch Krankheit verlorenen Lebensjahre

Wer krank ist, hat weniger vom Leben. Im Projekt „Burden 2020“ (engl. = Last, Bürde) haben das RKI, das Wissenschaftliche Institut des AOK-Bundesverbandes und das Umweltbundesamt zusammengerechnet, wie viele Lebensjahre durch krankheitsbedingten Tod oder in Krankheit verbrachten Lebensjahren verlorengehen. Das Saarland liegt hier am Ende des Rankings, knapp vor der Chemie-Region Bitterfeld und dem Ruhrgebiet um Dortmund. Nach „Burden 2020“ gehen den Saarländern im Jahr insgesamt etwas mehr 100.000 Lebensjahre durch frühzeitigen Tod oder Krankheit verloren.

Die Saarländer werden immer unglücklicher

Kürzere Lebenszeit, verlorene Lebensjahre durch Krankheit – das bedeutet weniger Lebensqualität, weniger Lebensfreude. Was sich auch im SKL-Glücksatlas 2023 der Universität Freiburg widerspiegelt, der umfassendsten und aktuellen Bestandsaufnahme zum Lebensglück der Deutschen. Im Bundesländerranking ist das Saarland auf den vorletzten Platz 15 abgerutscht. Das Land ist eines der wenigen Bundesländer, dessen Lebenszufriedenheit abnimmt: In sämtlichen Bereichen sind die Saarländer unzufriedener als der gesamtdeutsche Durchschnitt. Die Gesundheitszufriedenheit ist extrem gering, schreiben die Wissenschaftler. Und weiter:

Das subjektive Wohlbefinden der Saarländer sinkt weiter und der Abwärtstrend erfasst sogar sämtliche Bereichszufriedenheiten. Am unzufriedensten sind sie mit ihrer finanziellen Situation. Aber auch die Zufriedenheit mit der Arbeit und der Familie ist ausgesprochen niedrig

SKL-Glückatlas 2023

Allgemeine Gesundheitsappelle bringen nichts

Die Kranken, insbesondere die von Armut und schlechten Lebensbedingungen gebeutelten, brauchen gezielte präventive Hilfe. Allein wenn es gelänge, den Menschen einen gesunden Lebensstil nahe zu bringen, ließe sich das individuelle Krebsrisiko „sofort“ um die Hälfte senken, so eine Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) Heidelberg.

Doch Appelle zur gesunden Lebensführung verhallen zu oft, sagt Prof Michael Baumann, Vorstand des DKFZ. Besonders wichtig sei es, diejenigen Menschen zu erreichen, die die größten Krebsrisiken tragen – denn sie zählen oft zu den ärmsten und am wenigsten gebildeten Mitgliedern der Gesellschaft. Um diese zu erreichen, bedürfe es neuer Kommunikationsstrategien.

„Allgemeine Präventionsappelle sind in der Breite gescheitert“, stellt auch die Deutsche Diabetes-Gesellschaft fest. Risikofaktoren wie Übergewicht und zahlreiche Folge-Erkrankungen ließen sich damit nicht eindämmen.

Fazit: Gesundheitspolitik ist Sozialpolitik

Gesundheitsschutz ist essenzielle Aufgabe des Staates. Auf den ersten Blick investiert die Landesregierung viel in die Gesundheit der Saarländer, 5.959 Euro je Einwohner. Nur Berlin und Brandenburg geben mehr aus. Die Gesundheitsbranche ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor im Saarland. In keinem Bundesland arbeiten in Medizin, Pflege und Wellness so viele Menschen, ein Fünftel mehr als im Bundesdurchschnitt (Destatis).

Dennoch: Die Saarländer sind die kränksten  Westdeutschen. Bei mehreren Krebsarten liegt das Land sogar im Vergleich aller Bundesländer vorn (RKI). Diese Realität ist unangenehm. Die politisch Verantwortlichen verdrängen sie. Auf der Webseite des Gesundheitsministeriums stehen die Themen Affenpocken, Drogen und Sucht und AIDS ganz oben.

Es geht aber darum, die Ärmsten und Bildungsfernen, insbesondere die inzwischen 82.000 saarländischen Bürgergeldempfänger, individuell und in ihrer persönlichen Lebenswelt zu erreichen. Die Behörden haben hier eine Bringschuld; sie verfügen über alle notwendigen Daten von der Agentur für Arbeit, dem Saarländischen Krebsregister, dem Deutschen Deprivationsindex des RKI, den Reports der Krankenkassen. Die Gesundheitsstrategen in Regierung, Landtag, Kommunen und bei den Krankenkassen müssen sich nur ehrlich machen und effiziente Präventionsstrategien entwickeln. Bunte Stofftaschen mit der erwiesenermaßen falschen Botschaft „Das Saarland lebt gesund“ zu verteilen, reicht nicht aus.

Info: Warum Verzicht und Entbehrungen krank machen

Die Folgen steigender Armut fasst der Paritätische Wohlfahrtsverband regelmäßig in seiner Armutsberichterstattung zusammen. Den Betroffenen fehlten vor allem:
Sicherheit und Perspektiven. Wer von der Hand in den Mund lebt, kann nicht planen. Er ist eingeengt, hat keine Entscheidungsspielräume.
Schutz vor krankmachenden Einflüssen. Einkommensschwache werden häufig in Wohngebiete minderer Lebensqualität abgedrängt, meist in Gegenden mit hoher Umweltbelastung.
Anreize für einen gesundheitsfördernden Lebensstil. Viele können die Kosten für den Sportverein oder das Schwimmbad nicht aufbringen. Hinzukommt – aus Kostengründen – eine Ernährung mit gesundheitsschädlichen Billigprodukten.
Sozialprestige. Wer am gesellschaftlichen Leben nicht hat teilnehmen kann, lebt auf dem psychosozialen Rückzug. Anerkennung und Wertschätzung, die zu den menschlichen Grundbedürfnissen zählen, bleiben aus.
Erholungs- und Entspannungsmöglichkeiten. Auch dazu fehlen Mittel und Motivation.

Hier zum Artikel
Warum der soziale Status von drei Saar-Landkreisen so schlecht ist

Quellen:

Robert Koch-Institut (2017): Regionale Unterschiede in der Gesundheit – Entwicklung eines sozioökonomischen Deprivationsindex für Deutschland. Journal of Health Monitoring

Robert-Koch-Institut (2012):  Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung und Gesundheit, GBE kompakt

Kongress Armut und Gesundheit (2022): Die Public Health Community als zivilgesellschaftliche Akteur*innen (Soziale Ungleichheit als Dimension der Gesundheit)

 Lebenserwartung auf Kreisebene in Deutschland; Deutsches Ärzteblatt 2020

Neue Datenanalyse stellt Krankheitslast regional differenziert dar, Deutsches Ärzteblatt v. 1.3.2023

Robert Koch-Institut (2023): Ergebnisdatensatz BURDEN 2020 – Krankheitslast in Deutschland und seinen Regionen, Berlin

Robert-Koch-Institut (2021): Gesundheitsfördernde Verhaltensweisen bei Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse der Studie GEDA 2019/2020-EHIS

Saarland: In freiem Fall, SKL-Glücksatlas 2023

Länderergebnisse Gesundheitsausgaben, Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2021

Gesundheitswirtschaft, Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2022

Krebsmedizin: von der Forschung zum Patienten, FAZ 9.11.2022

Morbiditäts- und Sozialatlas, Barmer Institut für Gesundheitsforschung 2021