Saarländischer Rundfunk: Wie SPD und CDU sich “verfassungswidrig” den Einfluss sichern

Der öffentliche Rundfunk soll das Demokratie-Bewusstsein der Bürger fördern – seine wichtigste Aufgabe. Voraussetzung ist, dass Staat und Parteien ihre Finger von den Kontroll- und Steuerungsgremien in den Funkhäusern lassen. Das wäre demokratieschädlich. Beim Saarländischen Rundfunk gelingt dies nicht. Saarlandinside-Analyse.
Schloss Halberg ist der Sitz des SR-Intendanten. Der Einfluss der Politik ist übermächtig.

Der öffentliche Rundfunk ist krisengeschüttelt. Teure Neubauten, Dienstwagen mit Chauffeur, dubiose Beraterverträge, fragwürdige Spesen, Selbstbereicherung, Vorteilnahme und Vetternwirtschaft – der RBB will jetzt 270.000 Euro von seiner Ex-Intendantin Patricia Schlesinger zurückhaben. Die Liste der ARD-Affären ist lang.

Der öffentliche Rundfunk leidet auch unter einer Vertrauenskrise. Bei seinen Hörern und Zuschauern hat er in den letzten zwei Jahren erheblich an Vertrauen verloren, um 17 Punkte auf 53 Prozent (infratest Dimap für den WDR). Zu wenig für eine öffentliche Institution, deren Aufgabe es ist, mit umfassenden, meinungsvielfältigen und tiefgehenden Programmangeboten die Menschen in die Lage zu versetzen, sich frei und individuell eine fundierte Meinung zu bilden. Schließlich kommt dem von den Bürgern finanzierten Rundfunk für die Demokratie-Bildung eine systemrelevante Funktion zu. Die Anstalten und die Bundesländer als Rundfunk-Gesetzgeber kommen also nicht um tiefgreifende Reformen an Strukturen, Programmen und Angeboten hin.

info:
Der Staat regelt den Rahmen – Einfluss auf Programm tabu

Die Aufgabenverteilung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland ist klar. Der Staat regelt per Gesetz Organisation, Kontrolle und Finanzierung. Der Einfluss auf das Programm ist dagegen tabu. Soweit die Idealvorstellung. Für diese Unabhängigkeit zahlen die Deutschen jedes Jahr rund neun Milliarden Euro an Rundfunkbeiträgen.

Der SR bekommt von seinen saarländischen Beitragszahlern rund 70 Millionen Euro. Zusätzlich subventionieren die wohlhabenden Rundfunk-Anstalten im ARD-Finanzausgleich den SR mit 50 Millionen Euro. Der Grund: Die Einnahmen aus Rundfunkbeiträgen im Saarland sind zu gering, andersrum: Der SR ist für das kleine Saarland zu groß aufgestellt. Dies würde sich nach den Reform-Vorstellungen des Zukunftsrats allerdings ändern.


Kernauftrag Demokratie-Bildung und sparsames Wirtschaften

Ein aus acht Fachleuten bestehender Zukunftsrat hat jetzt in einem Bericht dargelegt, wo diese Reformen ansetzen müssen. Der Zukunftsrat beschreibt den Handlungsbedarf bei ARD, ZDF und Deutschlandfunk und sagt, wie sie sparsamer wirtschaften und mehr Akzeptanz bei den Beitragszahlern erreichen. Sie sollen
▪ teure Mehrfachstrukturen abbauen,
▪ sich auf den Kernauftrag der Demokratie-Bildung besinnen,
▪ Unterscheidbarkeit, Unabhängigkeit und Ausgewogenheit der öffentlichen Angebote schärfen,
▪ mit digitalen Angeboten jüngere und nicht nur deutschsprachige Hörer und Zuschauer gewinnen,
Besonders der kleine SR muss sich anstrengen. 2024 sei “ein entscheidendes Jahr mit vielen Weichenstellungen“, ahnt SR-Intendant Martin Grasmück (epd-Medien).

Die Reform beginnt bei politikferner Steuerung und Kontrolle

ARD und ZDF stehen unter einem enormen Spar- und Rechtfertigungsdruck. Der erste Schritt: Sie sollen sich auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren, auf Information, Dokumentationen, kritische Berichterstattung über die Dinge, die Hörer und Zuschauer aufwühlen oder prägen. Unterhaltungssendungen hingegen können Sat 1 oder RTL besser leisten, und zwar nicht beitrags-, sondern werbefinanziert.

Nötig ist eine effektive und fachkundige Kontrolle

 „Die Öffentlich-Rechtlichen müssen auftragsorientierter arbeiten, strategischer handeln und ihre Transformation zu digitalen Medienhäusern forcieren – und dabei von ihren Gremien wirksamer gesteuert und beaufsichtigt werden. Nötig ist eine effektive, zugleich plurale und fachkundige Kontrolle“, fordert der Zukunftsrat. Saarlandinside hat unter diesem Aspekt die Gremien beim SR unter die Lupe genommen.

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass höchstens ein Drittel der Posten in den Rundfunk-Gremien von Regierung und Parteien besetzt werden darf. Dadurch soll Machtmissbrauch verhindert werden. Beim SR ist das nicht der Fall. Die Posten sind größtenteils politisch vergeben. Das Mittel zum Zweck: Die Landesregierungen und Landtagsmehrheiten haben das SR-Gesetz und das Mediengesetz entsprechend formuliert.

Gefragt sind Medien-Expertise und Sensibilität für den Sendeauftrag

Die oberste strategische Verantwortung trägt im SR der Verwaltungsrat. Er kontrolliert die operative Geschäftsleitung. Im Verwaltungsrat sollen keine Vertreter des Staates und der Parteien das Sagen haben, sondern „unabhängige Persönlichkeiten mit einschlägigen fachlichen Kenntnissen und Erfahrungen“, empfiehlt der Zukunftsrat, „etwa drei aus dem Bereich der Medien, zwei mit ausgewiesener Managementerfahrung und vier Persönlichkeiten mit Autorität und besonderer Sensibilität für den Angebotsauftrag“. Da besteht beim SR großer Bedarf.

„SR-Verwaltungsrat verfassungswidrig besetzt“

Denn: Im SR-Verwaltungsrat kommen acht von neun Mitgliedern aus hohen Staatsämtern oder haben einen prominenten parteipolitischen Hintergrund (siehe INFO Der SR-Verwaltungsrat unten). Dies sei verfassungswidrig, sagt der Münchner Rundfunkrechtler Helge Rossen-Stadtfeldt. Er begründet dies in einer Expertise für den Branchen-Informationsdienst „Medienkorrespondenz“ mit der fehlenden Staatsferne beim SR. Im Saarland entscheiden fast ausschließlich Partei- und Staatsvertreter über Stellenpläne und Besetzung wichtiger Posten in den Redaktionen und über die finanzielle Ausstattung der Programme. Sie befinden auch darüber, wer eine Beförderung verdient.

Bis auf den langjährigen IHK-Geschäftsführer Volker Giersch sind keinem Verwaltungsratsmitglied auf Anhieb Kompetenzen zuzuordnen, wie sie die Steuerung eines so komplexen und sensiblen Unternehmens wie des SR verlangen. Sie verstehen sich eher als Polit-Emissäre. Allesamt hatten sie, teilweise über Jahrzehnte hinweg, partei- und machtgetriebene Führungspositionen in Parteien, Ministerien, Behörden und im Landtag inne. Dort ist Handeln im Sinne der Parteien das Tagesgeschäft.

Der Verwaltungsrat wird überwiegende von älteren Menschen, teilweise seit Jahrzehnten in Amt und Würden, betrieben. Ein Hinweis darauf, wie sehr sie sich an die Posten klammern.

Die Verwaltungsratsmitglieder haben einträgliche Nebenjobs

Für ihren Aufwand bekommen der VR-Vorsitzende Burkert 2.220 Euro im Jahr, sein Stellvertreter Karl Rauber 1.860 Euro, alle Mitglieder 75 Euro Sitzungsgeld. Dies wirkt auf den ersten Blick überschaubar. Hinzu kommen attraktive Zusatzeinkommen. Die neun Mitglieder des SR-Verwaltungsrats plus Intendant Martin Grasmück bilden auch den Aufsichtsrat des Werbefunk Saar mit Bezügen von 47.000 Euro. Darüber hinaus beaufsichtigen sie die Werbefunk-Tochter Globe TV. Globe TV produziert unter anderem im Auftrag des Saar-Landtags die Live-Übertragungen der Plenarsitzungen und optimiert Redeausschnitte der Abgeordneten für ihren Auftritt in sozialen Medien. VR-Vorsitzender Burkert und Tina Jacoby sitzen im Aufsichtsrat der ProSaar Medien, die den Saar-Tatort produzieren.

Auch das Kontrollgremium Rundfunkrat im Griff der Parteien

Ähnlich staats- und parteinah wie im Verwaltungsrat geht es im Rundfunkrat des SR zu. Von den zurzeit 38 RR-Mitgliedern sind mindestens 25 einer Partei klar zuzuordnen, die meisten aktuell und ehemals mit prominentem Parteienwirkungskreis, ab Kreisverband aufwärts. Sie wirken im Rundfunkrat aber unter „neutralem“ Etikett eines Verbandes .  Nach dem Bundesverfassungsgericht dürfen ein Drittel des Rundfunkrats, beim SR 13 Mitglieder, staats- oder parteinah sein. Die RR-Vorsitzende Gisela Rink bezieht eine Aufwandsentschädigung von 2.220 Euro, ihr Stellvertreter Thorsten Schmidt 1.850. Das Sitzungsgeld für alle beträgt 75 Euro.

Die Minireform der SPD im Rundfunkrat

Die SPD-Regierung hat den Rundfunkrat mit bisher 38 Mitgliedern auf 26 Mitglieder verkleinert, plus je einen Vertreter der Landtagsfraktionen ohne Stimmrecht. Um diese Verschlankung gab es Streit im Landtag. Die CDU warf der Regierung vor, dass sie das Gremium unter ihre Kontrolle bringen wolle.  Auch dies ein Hinweis darauf, dass Regierung und Landtagsmehrheit den Rundfunkrat mit seinen beiden Freundeskreisen als Hort der Parteien behandeln.

Fazit: Das Vertrauen der Bürger in die Medien darf nicht weiter beschädigt werden

Die Parteien wirken mit ihren Programmen, Veranstaltungen oder über ihre Stiftungen bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. In Wahlkämpfen wollen sie die Mehrheit, in Parlamenten und Regierungen ihre Ideen umsetzen. Parteiarbeit ist immer Machtarbeit.

Die vornehmste Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist die Demokratie-Bildung: mit umfassenden, meinungsvielfältigen und tiefgehenden Programmangeboten den Menschen frei und individuell eine fundierte Meinungsbildung ermöglichen. Auf diesen Kernauftrag sollen sie sich konzentrieren, sagt der Zukunftsrat. Nur dafür gibt der Beitragszahler 220 Euro im Jahr.

Voraussetzung ist, dass die öffentlichen Medien wie der SR ohne Einflussnahme des Staates und der Parteien arbeiten können. Das Bundesverfassungsgericht hat hier der Politik klare Grenzen gesetzt. Diese sind beim SR offensichtlich überschritten. Experten halten dies für verfassungswidrig.

Unangemessener Einfluss beschädigt das Vertrauen der Bürger in den öffentlichen Rundfunk. Dieses Vertrauen ist in den letzten zwei Jahren stark gesunken. Man sollte dies als Alarmzeichen werten. Soziologen erklären auch die zunehmende Polarisierung unserer Gesellschaft mit Vertrauensschwund in wichtige Institutionen. So gesehen weist die saarländische Medienpolitik erhebliche Demokratie-Mängel auf.

Hintergrund: Die ÖRR sollen sich auf den Demokratie-Auftrag besinnen

Hier die Reformvorschläge des Zukunftsrats in zehn Punkten

Der ÖRR soll demokratie- und gemeinwohlorientiert in erster Linie die politische Selbstbestimmung der Bürger fördern. Umfassende, meinungsvielfältige und tiefgehende Programmangebote sollen die Menschen in die Lage versetzen, sich frei und individuell eine fundierte Meinung zu bilden. Dadurch erfüllen ARD, ZDF und Deutschlandfunk „die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft“.

Der Zukunftsrat sieht die Notwendigkeit, dass sich „die Öffentlich-Rechtlichen stärker auf diesen Beitrag zur demokratischen Selbstverständigung verpflichten“. Das solle das Leitmotiv der Rundfunk- und Fernsehschaffenden sein. Stärkung von Demokratie und Gesellschaft – damit ist ein weitreichender und ethisch hochstehender Leistungsauftrag an die öffentlich-rechtlichen Medien formuliert. Die Medien-Schaffenden haben Information und Bildung der Bürger zu organisieren und „dies in einem umfassenden, nicht auf bloße Berichterstattung oder die Vermittlung politischer Meinung beschränkten, sondern jede Vermittlung von Information und Meinung im umfassenden Sinne“, formuliert das Grundgesetz in Artikel 5 ganz praktisch.

Info:
Der SR-Verwaltungsrat

Michael Burkert (71), Pensionär, ehemaliger SPD-Stadtverbandspräsident und langjähriges Mitglied im Landesvorstand, Vorsitzender des SR-Verwaltungsrats.

Karl Rauber (71), Pensionär, ehemaliger CDU-Minister und Machtstratege, Stellvertreter von Burkert. CDU und SPD wechseln sich im Vorsitz ab.

Tina Jacoby, stellvertretende Kreisvorsitzende der CDU Saarbrücken-Stadt, ist Richterin am Finanzgericht, Ehefrau des ehemaligen CDU-Finanzministers Peter Jacoby (dieser ist Mitglied im Fernsehrat des ZDF).

Joachim Rippel (73), Pensionär, ehemaliger CDU-Oberbürgermeister von Homburg, ehemaliger Wirtschaftsminister, war schon mal Vorsitzender des Verwaltungsrats.

Gisela Rink (72), langjährige CDU-Landtagsabgeordnete, im Vorstand der Stadtratsfraktion und im CDU-Stadtverband Völklingen, vertritt die Partei-Interessen seit 1992; als Vorsitzende des Rundfunkrats im Verwaltungsrat.

Volker Giersch (74), 15 Jahre lang Hauptgeschäftsführer der IHK-Saar, seit zehn Jahren im Verwaltungsrat, wird dem CDU-Lager zugerechnet.

Bettina Altesleben (61), SPD-Staatssekretärin im Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit, seit 2021 stellvertretende Vorsitzende des DGB Rheinland-Pfalz/Saarland sowie Geschäftsführerin für die Region Saar-Trier.

Thorsten Bischoff (49), SPD, Bevollmächtigter des Saarlandes beim Bund im Range eines Staatssekretärs.

Moschgan Ebrahimi, Vorsitzende des Personalrats des SR, ehemals SPD-Kandidatin für die Landtagswahl und Mitglied im Landesvorstand, SR-Personalratsvorsitzende.

Quellen:
Bericht des Rates für die zukünftige Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, 2024
Protokolle der Sitzungen des SR-Rundfunkrats 2020 bis 2023

Zu diesem Thema auch „SR-Gehälter: 250.000 Euro für den Intendanten und üppige Angestellten-Tarife“

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